Zitat Katarzyna Wielga-Skolimowska
Das Museum ist keine ‚oasenhafte Sonderzone‘, kein Repräsentationsvehikel der Staatlichkeit und erst recht keine Arena autokratischer Geschichtspolitiken. Alle sollen sich mit ihrem Museum identifizieren können im republikanischen Geist einer Gemeinschaft der Verschiedenen.
Lecture, Begrüßung
Meine Damen und Herren [Anreden].
Es passiert nicht alle Tage, dass ich vor einem Publikum wie diesem sprechen darf. Ich möchte Ihnen daher an erster Stelle sehr herzlich für Ihre Einladung danken, diese Herzog Franz Lecture zu halten.
Eine solch besondere Begegnung hätte ich mir vor einigen Monaten kaum vorstellen können. Aber so ist das zwischen München und mir. Wir haben ein besonderes Verhältnis, seitdem ich in den Jahren 2018 bis 2020 im Goethe-Institut gearbeitet habe – bevor ich anschließend von der bayerischen Isar in die saudi-arabische Wüste nach Riad gewechselt habe.
Dadurch fühle ich mich auch der Pinakothek der Moderne verbunden. Dieses Haus ist herausragend unter den Museen in Deutschland – als ein Museum, das die Bürgerinnen und Bürger Bayerns wirklich gewollt und kofinanziert haben. Es wäre undenkbar gewesen, ohne Ihr großes Engagement, meine Damen und Herren. Es wäre undenkbar auch ohne die Teams und die Leitungen, die die Geschicke der Einrichtungen lenken. Bildende Kunst, Grafik, Design und Architektur – hier ist alles unter einem Dach: als ein Raum unzähliger Möglichkeiten, den Künsten in ihrem Reichtum, ihren Wechselwirkungen untereinander und ihrer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu begegnen.
Münchner Topographien der Gewalt
Diese Wirklichkeit – sie strahlt mit ihren unterschiedlichen Intensitäten direkt in die Pinakothek hinein. Es gibt an diesem Ort – und ich bin froh das sagen zu können – viel Licht und eine Weitherzigkeit, die das ganze Museumsareal anstiftet: Unter dem hohen Museums-Dach startet bereits in den Morgenstunden ein Fitness-Programm – als zivile Eigeninitiative von Sportbegeisterten aus dem Quartier. Mittags werden die Parkflächen zu einer sonnenliegen-bestückten Entspannungszone. Der Vorhof verwandelt sich in eine farbenfrohe „playstation“. „Let your imagination run wild“ – so lautet heute das Credo des Vermittlungs-Programms FLUX, das zwischen Diskurs und Grillstation, zwischen Kultureller Bildung und Kinderrutsche das Trennende zwischen dem Museum und der Stadt überwinden will…

Fortsetzung München Topographien der Gewalt
München…es ist dieselbe Stadt, aus der die nationalsozialistische Gleichschaltung von Kunst und Kultur hervorging. In der die Verfolgung und Verdrängung der Juden auch aus dem Kulturleben, die Verfolgung von Kommunistinnen, von Andersgläubigen oder Andersliebenden mit schrecklicher Effizienz vollzogen wurde. Die Stadt, in der die Kultur mit perfider Systematik in ein Instrument der NS-Propaganda verwandelt wurde – mit „Hitlers Künstlerinnen und Künstlern“ als willfährigen Handlangern der Macht.
Keine zwei Kilometer von hier präsentierte sich das damalige „Haus der Deutschen Kunst“ mit der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ als Epizentrum nationalsozialistischer Kulturpolitik; unmittelbar benachbart war 1937 in den Hofgartenarkaden die Ausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen. Nicht einmal einen Kilometer entfernt liegen das NS-Dokumentationszentrum und das Israelische Generalkonsulat, auf die fast genau vor einem Jahr ein extremistisches, antisemitisch motiviertes Attentat verübt wurde.
Meine Damen und Herren. Die Pinakothek der Moderne, dieser helle, stadt- und weltoffene Museumsbau mit seinem wunderbaren Kulturangebot liegt zugleich inmitten einer Topographie der Gewalt. Diese Schatten der Gewalt sind bis heute nicht verblasst.
…Können Museen träumen? Was ist das für eine merkwürdige Frage für eine Lecture, werden Sie sich gedacht haben. Zugegeben: Es gibt Museen, die wirken reichlich verschlafen. Nur wer ist gemeint mit diesem Kollektivsubjekt „Museen“? Und von welchem Publikum – oder noch genauer: von welchen Personen – träumt ein Museum?
Im Jahr 1936 floh der damals elfjährige Ludwig Pfeuffer mit seiner jüdischen Familie aus Würzburg in Richtung Palästina. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er als Soldat der Britischen Armee gegen die Deutschen. Während eines Etappen-Aufenhalts in Ägypten lernte er die englische Dichtung kennen – T.S. Eliot und W.H. Auden. 1946 änderte er seinen Nachnamen in „Amichai“ – das bedeutet „Mein Volk lebt“. Er wurde einer der bekanntesten, in mehr als vierzig Sprachen übersetzten Dichter Israels und bekannte sich immer wieder auch zu Aussöhnung und Frieden im Nahen Osten. „Die Welt ist nicht so weich“ sagte Yehuda Amichai, „Also bin ich das Gegenteil. Ich injiziere Weichheit in den Alltag. Es ist die einzige Möglichkeit…“. Er starb am 22. September 2000, vor fast genau 25 Jahren, in Jerusalem.
Von ihm stammt das folgende Gedicht, das ich Ihnen [in einer Übersetzung von Thomas Sparr] nun vortragen darf:
Gedicht ohne Ende
Gedicht ohne Ende
Im brandneuen Museum
da ist eine alte Synagoge.
In der Synagoge
Bin ich,
In mir
mein Herz.
In meinem Herzen
Ein Museum.
Im Museum
eine Synagoge,
in ihr
ich,
in mir
mein Herz,
in meinem Herzen
ein Museum

Fortsetzung Münchner Topographien der Gewalt
Meine Damen und Herren. Es gibt – Sie haben es gehört – keinen Punkt hinter dem letzten Wort. „Ohne Ende“ – “ein sof” – wie es im hebräischen Originaltitel heißt – geht das Gedicht weiter, nehmen die Entitäten aufeinander Bezug: „Museum – Synagoge – Ich – Herz – Museum – Synagoge – Ich – Herz…“ – und so fort.
Wie eine Traumschleife, wie ein Klar-Traum, der nach einer Denkrichtung und einem Ankommen sucht…dieses aber nicht finden kann und daher weitersuchen muss…nach einer Heimat vielleicht, einer Utopie. Wie jeder Traum und jedes Kunstwerk produziert auch dieses Gedicht einen Sinn-Überschuss und eröffnet einen Zugang zum Un-Bewussten und Un-Gewussten. Was vermuten wir, wer hier „Ich“ und „Herz“ sagt oder welches „Museum“, welche „Synagoge“ gemeint ist? Was könnte es überhaupt mit dem Motiv der Synagoge auf sich haben?
Nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem wurde die Synagoge zum Ort des jüdischen Gemeindelebens – als Haus des Gebets und des Studiums der Tora, aber auch als Versammlungshaus – im Hebräischen Bet ha-Knesset –, in dem die Gemeinde zusammenkam und sich austauschte. Aber dieses Gedicht steht im Schatten der Shoah. Die Synagoge ist ein Symbol für den Verlust…dennoch existiert sie fort „im brandneuen Museum“, ist Bestandteil von Erinnerungen und Ausdruck der Sehnsucht nach Vergegenwärtigung. Wie in einem Museum, das Erinnerung in ständigem Wandel zeigt, bleibt die Synagoge ein offener Raum, in dem Bedeutung entsteht, vergeht und neu gelesen wird.
Zitat Katarzyna Wielga-Skolimowska
Und eröffnen nicht gerade zeitgenössische Museen die Freiheit einer Wahrnehmung und eines Denkens, zu dem auch das Vermögen zählt, das Disziplinierende, das Gewusste und Gekonnte für die Augenblicke der ästhetischen Erfahrung hinter sich zu lassen?
Unabschließbarkeit des ästhetischen Denkens
Meine Damen und Herren: Dieses Denken führt uns mitten hinein in das Museum, als einen Ort, der Kunstwerke und Artefakte beherbergt – Objekte also, die ihrerseits wieder Träume, Hoffnungen oder Utopien einfangen. Selbstverständlich spielen Wissenschaftlichkeit, Forschungsresultate und die Verbindlichkeit von Informationen eine zentrale Rolle.
Aber kommt es daneben nicht auch auf die einstweilige Aufhebung von Gewissheiten an? Und eröffnen nicht gerade zeitgenössische Museen die Freiheit einer Wahrnehmung und eines Denkens, zu dem auch das Vermögen zählt, das Disziplinierende, das Gewusste und Gekonnte für die Augenblicke der ästhetischen Erfahrung hinter sich zu lassen? Weil sich in der Erfahrung der Kunst eine Kraft entfaltet, die uns aus uns herausführt, eine unbewusste und „dunkle Kraft“?
Wie diese Kraft wirken kann, hat für die Literatur Franz Kafka in einem Brief an seinen Jugendfreund Oskar Pollak beschrieben. „Ich glaube“, schreibt Kafka, „man sollte überhaupt nur Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?“.
Meine Damen und Herren, für mich klingt, wenn ich von Kafkas Bild des „Faustschlags“ der Literatur höre, unmittelbar auch jene Erfahrung an, von der Sie – verehrter Herzog Franz – gesprochen haben, als Sie Ihre Begegnung mit Francis Bacons Triptychon „Crucifixion“ geschildert haben.
Gemälde von Francis Bacon (Textillustration)

Fortsetzung Unabschließbarkeit des ästhetischen Denkens
„Francis Bacon,“ so heißt es im Interview der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Dezember 2015, „hat mich getroffen wie ein Donnerschlag.“ Das Gemälde ist dank der Geistesgegenwart des damaligen Galerievereins heute zuverlässiger Teil der Sammlungen. Aber es ist kein Bestandteil bayrischen Patrimoniums, das uns „in Ruhe lässt“. Der „Donnerschlag“ von damals sendet ein Echo bis in unsere Gegenwart. Und hier komme ich zurück zur Gewaltgeschichte, die München geprägt hat und auf die Bacons „Crucifixion“ reagiert….mit dem monströs verzerrten Körper einer SS-Abzeichen tragenden Vordergrundfigur…und mit zwei in scharfem Profil erstarrten Figuren im Hintergrund.
„Auf die Dauer,“ so kommentierte Herzog Franz, „berührte an dem Bild dieses Wegsehen, das Unbeteiligt-Sein, das Ausklammern von Brutalität und Grausamkeit.“ So kann man Bacon lesen: Als ein Fanal von Schmerz und Erschütterung, das aus der Geschichte des Nationalsozialismus ebenso erwuchs wie aus dem in den 60er Jahren zunehmend unerträglich gewordenen „Wegsehen“ der Gesellschaft. Damit ist Bacons Triptychon zugleich zu einem Schlüsselwerk der Sammlungen wie zu einem Geschichtszeichen der deutschen Nachkriegsmoderne geworden.
Gleichzeitig lässt das Kunstwerk eine eindeutige „Überschreibung“ im Sinne erinnerungspolitischer Botschaften oder kunsthistorischer Narrative nicht zu. Etwas bleibt im Bild, mit dem wir nicht fertig werden: etwas Unbestimmtes, Unberechenbares... Das ästhetische Urteil kommt zu keinem bestimmten Ende. Es ist endlos, weil das Kunstwerk selbst überbestimmt ist in der schwindelerregenden Verdichtung seiner Verwandlungen und Suggestionen. Und das ist gut so.
„Ich finde Bilder schlecht, die ich begreifen kann.“ So der Dresdner Maler Gerhard Richter. Was im Akt der ästhetischen Erfahrung zeitgenössischer Kunst aber weiterhin „beißt und sticht“ und was hiermit unentwegt auch unser Urteilsvermögen auf die Probe stellt, diese Widerständigkeit der Imagination wirkt auch als eine Übung in Demut gegenüber dem eigenen Urteilen. Nicht auf das Resultat des ästhetischen Urteils kommt es an, sondern auf die Bereitschaft, den Prozess des Urteilens als einen offenen zu verstehen. Und mehr als das! Es kommt darauf an, den Widerwillen gegen die Selbstgewissheit des eigenen Urteilens permanent wach zu halten.
Dieses Kreisen hermeneutischer Unabgeschlossenheit, ja Unabschließbarkeit – wir kennen es vom Gedicht Yehuda Amichais. Mit Blick auf die Ausstellungen, die in diesen Tagen in Dresden und Essen zu sehen sind, kennen wir sie auch aus dem Werk des südafrikanischen Künstlers William Kentridge. Für Kentridge ist die Kunst, „Ausdruck seiner Auseinandersetzung mit Unbestimmtheit“. Sie ist die „Reflexion einer Denk- und Erzählweise, die Unsicherheit als etwas Positives betrachtet, als ein Mittel zur Beteiligung des Publikums an der Sinngebung“ [Elvira Dyangani Ose]. William Kentridge sagt – ich zitiere: „Die giftigste Kombination der Welt [ist…] die Gewissheit, Recht zu haben, und das Monopol der Macht.“
Meine Damen und Herren – kommen wir mit dieser Absage an alle „Gewissheit, recht zu haben“ vielleicht einem weiteren „Traum“ näher? Einem Traum, den in unserer Gegenwart [Sie und ich und] gerade ein zeitgenössisches Museum träumen könnte? Verbindet sich mit dieser ungewissen Radikalität der Kunst und ihrem Beharren auf fortwährender Reibung, Unabgeschlossenheit und Widerständigkeit nicht auch eine politische Haltung, zu der Museen ihr Publikum wieder und wieder einzuladen versuchen? Eine institutionelle Haltung, die gegen aggressive Vereinfachungen und damit im besten Fall „anti-toxisch“ wirken kann, weil sie dem Zweck folgt, keinem Zweck zu folgen außer dem einen: die Freiheit ästhetischer Erfahrung zu ermöglichen?
Vertrauen und Museen: Polen, Golfregion
Meine Damen und Herren. Der Philosoph Christoph Menke schreibt in seinem Buch „Die Kraft der Kunst“ – ich zitiere: „Die Institution der Kunst muss eine Institution der Freiheit, eine Institution der Experimente sein.“ Einer solchen „Institution der Freiheit“ mit ihrer „endlosen“ Zumutung von ästhetischer Offenheit und Irritation wollen wir vertrauen? Sprechen wir über diese Zumutung!
Erlauben Sie mir, an eine erfreuliche Nachricht dieses Kulturjahres zu erinnern! Anfang des Jahres veröffentlichte das Berliner Institut für Museumsforschung eine Studie mit dem Titel: „Das Verborgene Kapital: Vertrauen in Museen in Deutschland“. Mit Kapital ist hierbei Sozialkapital gemeint: Es geht um das Geflecht gemeinschaftlicher Beziehungen, Normen und Werte – und wie sich das damit verbundene Vertrauen gesellschaftlich verteilt. So sieht das Ranking aus: Am vertrauensvollsten stehen auf Platz eins die Freunde und Familie. Gleich an zweiter Stelle folgen die Museen – und zwar vor der Wissenschaft und vor den Medien. Unterdurchschnittliche Vertrauenswerte erzielen Parteien. Die hinteren Plätze teilen sich die Social Media und die Kirchen. Alles in allem ein eindrucksvolles Ergebnis für die mehr als 7.000 Museen in Deutschland! Ein Beweis für ihr Potenzial als Bildungsstätten, als Orte des kulturellen Austauschs und – wie das Institut für Museumsforschung festhält, ich zitiere – „als ein Anker des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft.“
Und genau dies, ihre überdurchschnittliche Vertrauenswürdigkeit machen die Museen in Zeiten der Polarisierung besonders attraktiv für politische Indienstnahmen: als Werkzeug der Meinungsbildung und Durchsetzung kultureller Hegemonie-Ansprüche. Machen wir uns nichts vor: Das Drehbuch für eine solche Instrumentalisierung ist lange geschrieben. Es entfaltet sich in Russland, Ungarn, in der Slowakei und bis vor einiger Zeit auch in Polen.
Foto Zentrum für Zeitgenössische Kunst Warschau (Textillustration)

Fortsetzung Vertrauen und Museen: Polen
Nehmen wir in Warschau das Beispiel des Centrum Sztuki Współczesnej Zamek Ujazdowski – das Zentrum für Zeitgenössische Kunst. Unter der PiS-Regierung gab es einen politischen Wechsel. Das Museum erhielt eine neue Leitung. Mit Blick auf das vermeintliche finanzielle Risiko wurden laufende Ausstellungsprojekte auch mit deutschen Partnern abgesagt. Kunstwerke und Themen voller Ambiguität traten in den Hintergrund. Patriotische Ausstellungen, die Feier militärischer Widerstandsgeschichte oder Erbauliches zu Religion, Familie und Tradition erhielt Auftrieb.
Die Art und Weise, wie in dieser Situation Kulturinstitutionen auf Linie gebracht werden, folgt einer kulturpolitischen Blaupause. Die Mechanismen dieses Prozesses sind detailliert beschrieben zum Beispiel vom Kurator am Museum of Modern Art in Warschau, Jakub Depczyński: Erst wird das Leitungspersonal ausgetauscht. Es werden Parallelstrukturen mit neuen Institutionen gegründet. Existierende, autonom agierende Institutionen werden personell und finanziell ausgehungert. Förderverfahren werden verändert, die Kunst wird ideologisch definiert und nach herrschenden Partei-Grundsätzen neu ausgerichtet.
Man müsse, so Depczyński, auf alles gefasst sein – auch das Absurdeste und Abwegigste, man müsse versuchen, Netzwerke des Widerstands zu gründen – im eigenen Land und international. Man müsse alles dokumentieren, um Sichtbarkeit zu erzeugen und gerüstet zu sein für den Fall, dass eine bürgerlich-liberale Kulturpolitik zurückkehrt – aber selbst dann gelte: Der einmal angerichtete Schaden und Vertrauensverlust werde schwer rückgängig zu machen sein.
Als damalige Leiterin des Polnischen Instituts in Berlin kann ich das von Jakub Depczyński geschilderte Drehbuch aus eigener Erfahrung bestätigen. Der Grundton illiberaler Kulturpolitik ist bestimmt von tiefem Misstrauen gegenüber zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern und den Institutionen, die ihrer Arbeit Freiraum geben.
Eine andere Geschichte wird derzeit in der Golfregion geschrieben. Lassen Sie mich darauf kurz eingehen. Im Jahr 2020 ging ich über München nach Saudi-Arabien und in die Golfregion, in der gerade das Louvre Abu Dhabi seine Tore öffnete. Dieses „opening“ war ein Meilenstein in der Kulturpolitik der Vereinigten Arabischen Emirate und in den Golfstaaten. Wegen eines dreißigjährigen franchise-Vertrags mit dem Louvre, vor allem auch wegen einer sehr spezifischen Ausstellungspolitik in dem futuristischen Neubau des französischen Stararchitekten Jean Nouvel.
Foto Louvre Abu Dhabi (Textillustration)

Fortsetzung Vertrauen in Museen Golfregion
Als Schaufenster für die Fortschrittlichkeit der gesamten Golfregion präsentiert das Louvre Abu Dhabi Artefakte und Kunstwerke aus verschiedenen Ländern und Epochen im Kontext einer globalen Gesamterzählung. Das Publikum ist eingeladen, eine Vision von Universalität und das Versprechen von kultureller Harmonie zu erleben. Diesem Narrativ ordnen sich die verschiedensten Objekte unter: Jan Vermeer hängt neben einem Astrolab. Ein chinesischer Buddha-Kopf steht neben Benin-Bronzen. Themen wie zum Beispiel Glaube und Spiritualität, wissenschaftlicher Austausch oder Erfahrungen von Mutterschaft sind als kulturelle Parallelen anschlussfähig an die Erwartungen von Gästen aus aller Welt. Auf dieses Weltpublikum zielt das Louvre Abu Dhabi, wie sein Vorsitzender, Mohamed Khalifa Al Mubarak, programmatisch festhält – ich zitiere: „Kultur ist das, was uns verbindet. Sie unterstreicht unsere gemeinsame Menschlichkeit und fördert ein besseres Verständnis zwischen verschiedenen Menschen und Gesellschaften auf der ganzen Welt.“
Ein ähnliches Kalkül prägen aktuelle Kunstereignisse wie etwa die Islamic Arts Biennale im saudi-arabischen Jeddah. Auch hier werden historische Artefakte und zeitgenössische Kunstwerke nebeneinander präsentiert – 2025 etwa zum Thema „Glauben“. Dabei geht es auch um ein Gerade-Rücken historischer Narrative – etwa im Bereich der Mathematik. Entgegen landläufiger europäischer Erzählungen waren statt allein christlicher Klöster vor allem arabische Wissenschaftler dafür verantwortlich, das Wissen der Antike in die Neuzeit zu „retten“. Auf diese Weise zeigt die Biennale nicht nur Gegenwartskunst, sondern korrigiert zudem globale Hierarchien und kulturelle Asymmetrien.
Der „Elefant im Raum“ sind in beiden Ländern die Verletzungen von Menschenrechten und die Unterdrückung von Meinungsvielfalt. Die Golfstaaten sind bei allen Liberalisierungstendenzen autokratisch geprägt. Öffentliche Kritik an den Herrscherhäusern ist nicht gestattet. Auch in den zeitgenössischen Künsten wird Reibung vermieden. Was zählt, ist die Feier der Artefakte und das Ziel, mit der lange marginalisierten, eigenen Kunst und Kultur Teil der Weltgemeinschaft zu sein und sich dort – unter dem Zuckerguss von „global understanding“ – in die Universalgeschichte der Kunst einzuschreiben.
Der Fall der USA
Meine Damen und Herren. George Orwell hat bekanntermaßen gesagt: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft.“ Nicht nur für Museen ist dieser Satz ein Albtraum. In kaum einem Land hat sich der Angriff auf das kollektive Gedächtnis stärker beschleunigt als in den Vereinigten Staaten nach dem zweiten Amtsantritt von Donald Trump. Jene Vereinigten Staaten, von denen nach dem Zweiten Weltkrieg auch für die zeitgenössische Kunst in München entscheidende Impulse ausgingen. Und auch aus dem „wunderbaren New York“ – in dem 1961 Herzog Franz mit Robert Rauschenberg und Jasper Johns durch die Nacht gezogen ist – sind die Angriffe gegen die Unabhängigkeit öffentlich finanzierter Institutionen immer deutlicher zu vernehmen.
Und die Gegenstimmen des liberalen Amerika? Jasper Johns war im Bereich der Malerei die zentrale Galionsfigur einer Petition an den US-amerikanischen Kongress. Es ging um den Protest gegen massive Kürzungen des „National Endowment for the Arts“ – jener landesweiten US-Stiftung für die Förderung unabhängiger Kulturprojekte, die Öffnung von Kulturinstitutionen, für mehr Teilhabe und Publika. 200.000 Unterschriften erhielt die Petition – aus der ich in deutscher Übersetzung zitiere: „Es gibt kein wirtschaftliches Argument für die Kürzung der Kunstförderung, die weniger als ein Hundertstel Prozent unserer nationalen Ausgaben ausmacht. Diese Bemühungen müssen vielmehr als Teil einer intensiven Kampagne zur Delegitimierung von Künstlern und Intellektuellen angesehen und abgelehnt werden.“
Dieser Protest stammt vom März 2017 – aus der ersten Amtszeit von Donald Trump! In der zweiten seit Januar 2025 agiert die von ihm geführte US-Regierung schneller und durchschlagender als zuvor. Laufende öffentliche Förderungen für Theater, Stipendienprogramme oder Ausstellungen werden gestrichen. Förderschwerpunkte verschieben sich auf geschichtspolitische Metaziele. So werden die Feierlichkeiten zum 250. Gründungsjubiläum der USA für die Kunst- und Kultureinrichtungen als patriotische Chance beworben, an der „national celebration“ des Jahres 2026 mitzuwirken – ohne die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Geschichte zu adressieren.
Von wo rührt sich Widerstand? Aus der Zivilgesellschaft? Der Wirtschaft oder der Wissenschaft? Wer beschützt die Institutionen? Gibt es eine internationale Solidarisierung? Die Lage ändert sich täglich und ist aus der Außenperspektive kaum zu durchschauen. Immerhin: „NPR“ – das von der Trump-Regierung ebenfalls mit massiven Kürzungen belegte „National Public Radio“ – berichtet aus Washington, dass Performerinnen und Performer des Kennedy Center gegen die Übernahme durch die Trump Administration protestiert haben. Im Frühjahr dieses Jahres umrundeten sie das Kulturzentrum und tanzten Pina Bauschs Choreographie „Frühling Sommer Herbst Winter“ aus ihrem Stück „Nelken“.
Und die Zivilgesellschaft erhebt Widerspruch. So warnte die American Alliance of Museums am 15. August, dass Museen wachsendem externen Druck ausgesetzt seien, Bilder abzuhängen oder Ausstellungen und Programme zu verändern oder zu beenden. Vier Tage später bläst Donald Trump in den Social Media zum Generalangriff auf die öffentlich geförderten Museen: Er bezeichnet sie als letzte Bastion von „Wokeness“. Er unterstellt dem Smithsonian einen kompletten Kontroll-Verlust und wirft ihm vor, sich nur auf das Schreckliche in der US-Geschichte zu beziehen und allein zu betonen, wie schlimm die Sklaverei gewesen sei. All dies werde er nicht dulden und stattdessen seine Anwälte in die öffentlich geförderten Museen schicken. Genau das geschieht: Die Vertreter der Regierung pauken eine Art „patriotischen Reinigungsplan“ durch. Mit dem Ziel, insbesondere im Bereich der Dauerausstellungen sichtbare Zeichen von „American Greatness“ zu implementieren – und vice versa Bilder mit kritischem Potenzial abräumen zu lassen.
Foto “Scourged Back” von 1863 (Textillustration)
Fortsetzung Der Fall der USA
Etwa die Fotografie „Scourged Back“ aus dem Jahr 1863. Sie zeigt den Rücken eines von Peitschenwunden gezeichneten Mannes, Ein Bild, das im Kampf gegen die Sklaverei von ikonischer Bedeutung gewesen war. Beides wirkt zutiefst beunruhigend: Das historische Dokument zur Gewalt des Sklavenhandels. Und die revisionistische Entschlossenheit, von höchster Regierungsstelle in die Hängungspraxis eines Nationalmuseums einzugreifen und eine Fotografie aus einer Öffentlichkeit zu verbannen, die für viele – weit über die black communities hinaus – eine Ikone des Widerstands darstellt. Diese politischen Eingriffe ins Museum sind beides: Ein Albtraum und ein Prüfstein, wenn es um die Frage geht, durch wen und wie die Freiheit der Kunst und die Autonomie von Kultureinrichtungen verteidigt werden kann.
Dieses Thema ist von großer Bedeutung: Die Erfahrung, aus der heraus in der Bundesrepublik Deutschland das Recht auf Kunstfreiheit im Grundgesetz verankert wurde, ist die der nationalsozialistischen Diktatur. Die Kunstfreiheit ist ein Prüfstein der Demokratie. In Ländern, in denen die Kunstfreiheit eingeschränkt oder verboten wird, funktioniert die offene und demokratische Gesellschaft nicht.
Zukunftsprogramme der Kulturstiftung des Bundes
Wenn der Befund lautet, dass Kunstfreiheit brüchiger werden kann, wie schauen wir dann auf unsere transkontinentalen Partner, auf unsere europäischen Nachbarn – und auf uns? Haben wir Sorge vor Instrumentalisierungen in der Zukunft? Was sehen wir dort? Sehen wir… irgendetwas?!
Anne Applebaum, die streitbare amerikanisch-polnische Historikerin und letztjährige Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, hat kürzlich auf einen verhängnisvollen Mangel an Einbildungskraft hingewiesen. Im Interview mit The Atlantic sagte sie – ich zitiere: „Unsere Unfähigkeit, uns vorzustellen, dass sich irgendetwas ändern könnte, ist ein Fluch unserer ansonsten eher geglückten Zivilisation…Die längsten Phasen der Menschheitsgeschichte sind von Autokraten beherrscht worden.“
Worauf liberalen Demokratien dagegen angewiesen seien, so Applebaum, ist die Existenz von nicht-politischen Institutionen, unabhängige Gerichte, unabhängige Medien, unabhängige Unternehmen und unabhängige Kultureinrichtungen: „Sobald man diese Dinge zerstört, beginnt man damit, Demokratien viel schwieriger zu machen.“
Meine Damen und Herren. Wie sieht in diesem Zusammenhang die Rolle der Kulturförderung aus? Was setzt sie diesen Warnungen vor einem Bruch entgegen? Was trägt Kulturförderung bei, damit Museen zu „Institutionen der Freiheit und der Experimente“ werden können? Aus der Perspektive der Kulturstiftung des Bundes kann ich Ihnen versichern: Wir sind uns unserer Verantwortung als ein Zukunftslabor bewusst. Wir unterstützen programmatisch die Risikobereitschaft und den Mut, damit Kulturinstitutionen sich so verändern, dass Sie auch in Zukunft in der Lage sind – wie Otto Neurath es sagt – „uns die Angst vor der Welt zu nehmen.“
Um diese Veränderungen zu ermöglichen, stellt die Kulturstiftung des Bundes zielgerichtet Ressourcen zur Verfügung, damit die Institutionen aus ihrem Alltag heraustreten, Kooperationen eingehen und sich bundesweit und international vernetzen. Das gilt für Theater, für Konzert- und Literaturhäuser, für Bibliotheken und für die gesamte Bandbreite von Museen über Ethnographie, Naturkunde und Design bis zu Museen für Gegenwartskunst. Auch dort sind gerade zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler angewiesen auf die Neugierde und Tatkraft der Institutionen, die dem Risiko und den Ambiguitäten neuer Werke einen Rahmen eröffnen. Auch auf die Gefahr von „Donnerschlägen“. Oder vielmehr: gerade dann?! Bei all dem muss der internationale Austausch auch in Zukunft eine herausragende Rolle spielen. Wenn – wie Anne Applebaum sagt – Autokraten weltweit an die Macht drängen, braucht es unabhängige Orte, an denen ein internationaler Austausch zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler ohne Dogmen, Ausgrenzungen oder Verschmähungen stattfinden kann.
Museen sind solche Orte. Wir dürfen sie nicht allein lassen. Sie zu fördern heißt auch, das Gespür für ihren unerlässlichen Eigensinn und ihre unbestimmbare Vieldeutigkeit zu trainieren.
Museen in Bürger*innenhand
Meine Damen und Herren. Am 31. Mai dieses Jahres eröffnete im Londoner Osten das East Storehouse des Victoria and Albert Museum mit einer Depot-Schau, die Zeugnisse aus 5000 Jahren menschlicher Kreativität umfasst. Von römischen Fresken bis zum Ziggy-Stardust-Jumpsuit von David Bowie, stehen dort seitdem eine halbe Million Objekte aus allen Gewerbe- und Design-Sparten zur Verfügung. Es gibt vier-geschossige Depothallen, die anmuten wie eine monumentale Mischung aus Galerie und Warenhaus. Es gibt einen „Overlook“, um aus nächster Nähe aktuelle Arbeiten von Konservatorinnen und Konservatoren zu erleben. Das Handling der Objekte wird sichtbar und die Tätigkeit des technischen Personals gewürdigt. Es gibt einen „Order an Object“-Service, der dem Publikum auf Online-Anmeldung erlaubt, Artefakte der Sammlung hautnah zu begutachten. Es adressiert gerade auch junge Menschen. „You can visit for any reason,“ so heißt es vom Museum, „whether it’s your research. Or just to make you happy.“
Foto Museen in Bürger*innenhand (Textillustration)

Fortsetzung Museen in Bürger*innenhand
Oder! – so möchte ich ergänzen: Um eine Erfahrung zu machen, die elementar ist für eine Kultureinrichtung in unserer Demokratie: Das Museum gehört uns allen. Nicht einer Mehrheitsgesellschaft oder imaginierten Nationalgemeinschaft, sondern dem ganzen vielstimmigen, verschiedenartigen und durch unzählige Herkünfte, Bildungserfahrungen, Hoffnungen und Träume geprägten Miteinander, das unsere Gesellschaft auszeichnet.
Das Museum ist keine „oasenhafte Sonderzone“ (Hartmut Rosa), kein Repräsentationsvehikel der Staatlichkeit und erst recht keine Arena autokratischer Geschichtspolitiken. Alle sollen sich mit ihrem Museum identifizieren können im republikanischen Geist einer Gemeinschaft der Verschiedenen. Staat und Kommune stehen in der Verantwortung und Pflicht der Trägerschaft – und hier erneuere ich gerne meinen Dank an den Freistaat Bayern. Die Wirtschaft engagiert sich im Freundeskreis, der in München mit über eintausend Mitgliedern ein unerlässlicher Rückhalt der Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit ist. Vielen Dank! Vor allem auch für die Stärkung der Vermittlungsarbeit und die Begeisterung von Kindern und jungen Menschen! Ihnen, verehrter Herzog Franz gilt ebenfalls unser großer Dank. Als Mäzen wirken Sie seit Jahrzehnten in der allerersten Reihe, wenn es um die Förderung der Pinakothek der Moderne geht. Im Zentrum aber stehen – wie die Widmungsinschrift in der Rotunde der Pinakothek unmissverständlich herausstellt – „Die Bürger Bayerns.“
Meine Damen und Herren: Dies ist Ihr Museum! Wenn – wie hier in München – der Enthusiasmus für ein Museum derart flächendeckend wirkt, brauchen wir uns um seine Resilienz und Zukunft wenig Sorgen zu machen! Ist das ein Traum? Und wächst in einer Institution wie dieser zugleich auch das Vermögen im Schock elastisch zu bleiben und neue Formen zu finden? Wächst hierbei eine neue Kraft der Kooperation? Und mit ihr ein Netzwerk-Wissen, zu dem auch zählt, wie gerade starke öffentliche Institutionen auf freie und vielleicht auch verletzlichere Akteurinnen und Akteure zugehen, um Ressourcen zu bündeln und solidarische Allianzen aufzubauen?
Und nimmt die Bereitschaft und – sagen wir es offen – der Mut zu, in den schroffen, urteilsfreudigen Öffentlichkeiten unserer Gegenwart eine Portion Gelassenheit zu bewahren oder eine gewisse „Weichheit“ gegenüber der Welt zu zeigen, die es erlaubt, sich auf Konflikte einzulassen – ganz ohne Rechthaberei oder „kompromisslose Selbstgerechtigkeit“, die schon Amos Oz als „ Plage vieler Jahrhunderte“ bezeichnete.
Ich bin sicher, Museen und andere Kultureinrichtungen können Kraft-Orte sein, um diese „Plage“ zu überwinden. Lassen wir uns von niemanden einreden, dass wir – von Feinden umzingelt und Boykotten umstellt – „wahrlich in finsteren Zeiten leben“. Suchen wir lieber gemeinsam nach einer Antwort auf von der US-amerikanischen Künstlerin Sheila Hicks ausgesprochenen Frage – ich zitiere: „Was kann ich tun, das mich, aber auch den Raum glücklich macht? […] Wie schaffe ich ein Habitat, … in dem Menschen zusammenkommen und sich sicher fühlen können? Darum geht es meiner Meinung nach auch in der Demokratie. Um ein Zusammenleben, das Freiheit ermöglicht.“ Zitat Ende
Meine Damen und Herren. Ich bin hier sehr zuversichtlich:
Mit dieser Suche nach einem Zusammenleben in Freiheit werden Museen auch in Zukunft beschäftigt sein…heute…morgen…ohne Ende



