Welt-Roma-Tag am 8. April
Der 8. April wird in vielen Ländern als Welt-Roma-Tag gefeiert. Er erinnert an den ersten internationalen Roma-Kongress in London im Jahr 1971, der als Meilenstein der internationalen Roma-Bewegung gilt. Roma und Sinti gibt es auf allen Kontinenten, die meisten von ihnen leben in Europa. Hier stellen sie mit ca. 12 Mio. Angehörigen die größte ethnisch-kulturelle Minderheit dar. Etwa 140.000 Sinti und Roma leben in Deutschland, davon besitzen ca. 100.000 die deutsche Staatsbürgerschaft.
In der etwa 600-jährigen Geschichte der Sinti und Roma in Europa waren diese spätestens seit Ende des 15. Jahrhunderts fast überall zahlreichen Formen von Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Das NS-Regime organisierte den Völkermord an ca. 500.000 Sinti und Roma, der 1982 – erst 37 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges – von der deutschen Bundesregierung als solcher anerkannt wurde. Und erst 2012 wurde in Berlin mit dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Europa ein wichtiger Erinnerungsort für diese gesellschaftliche Gruppe geschaffen.
Jene politischen Erfolge haben jedoch wenig daran geändert, dass Roma und Sinti weiterhin pauschaler Diffamierung und sozialer, ökonomischer und kultureller Diskriminierung ausgesetzt sind. Nicht Roma und Sinti bestimmen ihr Bild in der Öffentlichkeit, sondern in der Mehrheitsbevölkerung herrschende Klischees. Ausgrenzung und Missachtung manifestieren sich nicht zuletzt darin, dass die vielfältigen, in allen künstlerischen Sparten ausdifferenzierten Kulturen von Roma und Sinti in den europäischen und auch den deutschen Kulturinstitutionen weitgehend unberücksichtigt bleiben. Bis heute gibt es in Europa kaum einen Ort, an dem sie ihre Künste, Kulturen und ihre Geschichte selbst erzählen und präsentieren können, obwohl ohne die Kulturen von Roma und Sinti die Erzählungen der europäischen Kultur ausgesprochen lückenhaft blieben. Dass zum Beispiel Pablo Picasso und Elvis Presley der Minderheit angehörten, passt wenig zu dem Bild, das sich über Jahrhunderte in der Mehrheitsgesellschaft gebildet hat.
Vor diesem Hintergrund hat die Kulturstiftung des Bundes 3,75 Mio. Euro für ein internationales digitales Archiv, das RomArchive (opens in a new window), zur Verfügung gestellt, das Sinti und Roma die Möglichkeit bietet, den Fremdzuschreibungen selbstbestimmt etwas entgegenzusetzen und ihre Kulturen und Geschichte in eigener Regie darstellen zu können. Sinti und Roma gestalten das mehrsprachige Archiv in allen entscheidenden Positionen als Kurator/innen, Künstler/innen und Wissenschaftler/innen sowie im projektbegleitenden internationalen Beirat aus acht europäischen Nationen und den USA.
Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, die das RomArchive fünf Jahre lang fördert, unterstreicht die Bedeutung des Projekts: „Die konsequente Umsetzung einer ‚Roma-Leadership‘, die auch für uns als Stiftung eine Herausforderung ist, seine internationale Ausrichtung und seine standortunabhängige universelle Zugänglichkeit als digitales Archiv machen das RomArchive zu einem Pionierprojekt, das einen entscheidenden Impuls zur Anerkennung der Kulturen von Sinti und Roma als Teil der globalen Geschichte bildet, zu der Roma durch ihre weltweite Verbreitung beigetragen haben. Darin sehe ich eine große Chance nicht nur für Roma und Sinti auf die bisher vorenthaltene Selbstrepräsentation, sondern auch für die Mehrheitsgesellschaft, sich des Reichtums ihrer Kultur zu vergewissern, dieRoma und Sinti viel mehr verdankt, als den meisten bewusst ist. Das RomArchive könnte in jeder Hinsicht ein kulturpolitisches Flaggschiff werden.“
Die auf ständigen Zuwachs angelegte Sammlung des Archivs von Kunst aller Gattungen, historischen Dokumenten und wissenschaftlichen Texten spiegelt exemplarisch die enorme Bandbreite und Diversität von kulturellen Identitäten und nationalen Eigenheiten wider, anstatt ein realitätsfremdes Bild einer homogenen „Roma-Kultur“ zu vermitteln. Derzeit entstehen die Archivbereiche für Bildende Kunst (kuratiert von Tímea Junghaus), Film (Katalin Bársony), Literatur (Beate Eder-Jordan), Musik (Petra Gelbart), Tanz (Isaac Blake), Theater (Miguel Ángel Vargas Rubio und Dragan Ristić) sowie zur Bilderpolitik (André Raatzsch), der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma (Thomas Acton, Angéla Kóczé, Anna Mirga-Kruszelnicka und Jan Selling) und zum Holocaust (Karola Fings).
Bis zum Launch von RomArchive im Sommer 2018 macht der Blog (external link, opens in a new window) des Projektes die Arbeit der Kurator/innen erfahrbar. Regelmäßig werden hier multimediale Inhalte wie Interviews, kontroverse Diskussionen und Essays veröffentlicht sowie Hintergründe zur Projektentwicklung gegeben. Wie auch die spätere Website ist der Blog von Beginn an dreisprachig: Deutsch, Englisch und Romanes.
RomArchive hat starke Partner: Das Goethe-Institut beteiligt sich am Projekt u. a. mit den Instituten Budapest, Bratislava, Madrid und Prag mit Programmen in den entsprechenden Ländern. Die Bundeszentrale für politische Bildung gehört ebenfalls zu den Förderern. Von Planungsbeginn an standen dem Projekt der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die European Roma Cultural Foundation beratend zur Seite. Die Stiftung Deutsche Kinemathek ist Kooperationspartner für die technische Umsetzung. 2019 soll das Archiv, dessen Aufbau derzeit von den Projektinitiatorinnen Franziska Sauerbrey und Isabel Raabe organisiert wird, an eine internationale Roma-Organisation übergeben werden, die das Archiv ausbauen und weiterentwickeln wird.