Unsere neue Veranstaltungsreihe Labore des Zusammenlebens (external link, opens in a new window) bringt Künstlerinnen und Theoretiker, Wissenschaftlerinnen und Akteure der kulturell-institutionellen Praxis über aktuelle Fragen ins (Streit-)Gespräch. Nachdem es im Labor #1 im Dialog zwischen Michael Rothberg und Carolin Emcke um die Zukunft der Erinnerungskultur im globalen Kontext ging, treffen sich im Labor #2 die 1985 bei Weimar geborene Dramatikerin und Musikerin Olivia Wenzel und der 17 Jahre ältere, aus Rostock stammende Soziologe und Leibniz-Preisträger Steffen Mau. Sie unternehmen in ihrem Gespräch den Versuch, die DDR entlang innerdeutscher Entwicklungs- und Konfliktlinien von heute aus neu zu erinnern.
Labor #2: Ostdeutsche Identität(en) – Neue Zugänge zur Erinnerung an die DDR
Ein Gespräch zwischen Olivia Wenzel und Steffen Mau am 9. April 2021, 19 Uhr
Trotz aller biographischen Verschiedenheiten der Autoren und der Unterschiedlichkeit ihrer Zugangsformen weisen Olivia Wenzels Roman „1000 Serpentinen Angst“ und Steffen Maus Studie „Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft“ in ihrem Erinnern an die DDR der 1980er Jahre viele Ähnlichkeiten auf, die nicht zuletzt durch vergleichbare Schwierigkeiten, im wiedervereinigten Deutschland der Gegenwart seine ostdeutsche Geschichte und Identität zu bejahen, motiviert sein könnten:
Olivia Wenzel will ihrer Großmutter die Erfahrungen von Rassismus, der die Autorin und ihre Familie zu DDR-Zeiten und auch im wiedervereinigten Deutschland durchmachen mussten, durch das Niederschreiben ihrer Biografie nahebringen – und erkennt, dass die Sprachpolitik der DDR keine Worte für die Erfahrung des Herausfallens aus dem Kollektiv und den damit verbundenen Schmerz bereithielt. Sie sucht nach einer Sprache, in der die Fortsetzung rassistisch motivierter Gewalt bis in die Gegenwart greifbar wird.
Steffen Mau erzählt in seinem Buch von seiner Kindheit und Jugend im Rostocker DDR-Modellbezirk Lütten Klein: von der Hoffnung auf die Modernität eines Staates, der gleichwertige Lebensverhältnisse für seine Bürger ermöglicht; und von den politischen Repressionen, unter denen sich diese Hoffnung in den Zwang zur Gleichförmigkeit verkehrte. In Gesprächen, Beobachtungen und persönlichen Anekdoten vollzieht er diese Entwicklung nach – und reflektiert dabei auch seine heutige Rolle als Bildungsaufsteiger nach der Wende, der Lütten Klein vor den harten Konsequenzen des Strukturwandels verlassen hat.
Der große Unterschied zwischen beiden liegt in der Empathie von Mau und der Wut von Wenzel. Der eine bemüht sich um einen Nachvollzug des Geworden-Seins einer von ihm so bezeichneten Ost-Mentalität. Deren Wertschätzung speist sich vor allem daraus, dass er die Idee der gesellschaftlichen Gleichheit als emanzipatorische Errungenschaft bewertet. Trotzdem übt auch Mau klare, harte Kritik am politischen System DDR. Bei Wenzel ist es die Wut darüber, dass ihr in der DDR die Sprache für den Rassismus genommen wurde und auch in der heutigen Erinnerungskultur nicht wiedergegeben wird - außer in einem Ost-Bashing, das den Osten als rassistisch markiert und sie darüber erneut in dieser Facette ihrer Identität diskriminiert.
Über Erkenntnisse und Versäumnisse im Umgang mit der Erinnerung an die DDR nach 1989 möchten sich Olivia Wenzel und Steffen Mau austauschen und dabei auch über die Notwendigkeit neuer Erzählformen des zeitgeschichtlichen Erinnerns in künstlerischen und wissenschaftlichen Medien sprechen.
Wir laden herzlich zu unserem zweiten Labor ein! Die kostenfreie Veranstaltung findet am 9. April 2021 um 19 Uhr auf Zoom statt. Ein Zugangslink ist nach Anmeldung unter laboredeszusammenlebens.liteproject.de erhältlich. Zusätzlich wird die Veranstaltung live auf YouTube gestreamt.