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Empfehlungen aus dem pik-Programm
Inklusive Bühnenpraxis geht einher mit einem tiefgreifenden strukturellen und ästhetischen Wandel. Und sie bedarf mutiger Initiative, damit auch unter (noch) nicht perfekten Bedingungen inklusiv erarbeitete Kunst sichtbar wird. Die folgenden Empfehlungen bündeln die Erfahrungen jener Theaterhäuser und -gruppen, die von 2022 bis 2025 im Rahmen von „pik“ inklusive Arbeitsweisen erprobt haben. Sie fokussieren folgende Fragen:
- 1. Wie lässt sich der Wandel anstoßen?
- 2. Wie können Institutionen inklusiver werden?
- 3. Wie lassen sich künstlerische Räume erweitern?
- 4. Wie kann man unterschiedlichen Zeitbedarfen gerecht werden?
- 5. Wie befördert man selbstverständliche Sichtbarkeit?
- 6. Wie verankert man die strukturellen Veränderungen?
- 7. Wie fördert man die weitere Professionalisierung von Künstler*innen mit Behinderung?
1. Wandel anstoßen, Expertise einbinden
„Inklusion gehört jetzt zur DNA unseres Theaters.”
(Barbara Mundel, Intendantin Münchner Kammerspiele)
Wenn Theater eine inklusive Arbeitsweise etablieren wollen, sind Intendanzen und Geschäftsführungen sowie Sparten- und Abteilungsleitungen die entscheidenden Initiatoren: Sie können die erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen einplanen und dafür sorgen, dass in allen Bereichen die Perspektiven von Menschen mit Behinderung einbezogen werden. Es ist zudem besonders zielführend, wenn sie den Anstoß dazu geben, etablierte, aber noch nicht inklusive Abläufe zu hinterfragen und umzugestalten.
Initiatoren und Multiplikatoren
Damit der Wandel hin zu inklusivem Arbeiten dynamisch werden und langfristig zu einer nachhaltig inklusiveren Praxis führen kann, sollte die Leitungsebene eines Hauses ihn engagiert vertreten. Dabei ist es förderlich, wenn Abteilungsleitungen als Multiplikatoren von Wissen und Haltung von Anfang an in die Prozesse einbezogen werden. Auch alle übrigen Mitarbeitenden sollten informiert und involviert werden, etwa durch Gesprächsrunden und Weiterbildungen, um Unsicherheiten abzubauen und praktische Fragen zu klären. Freundeskreise und die Kulturverwaltung sollten regelmäßig informiert und idealerweise als Verbündete gewonnen werden.
Der Satz „Inklusion gehört jetzt zur DNA unseres Theaters.” stammt übrigens von einem Mitarbeiter aus der Technik. Am Anfang haben viele am Haus gedacht, dass Inklusion ein Projekt ist, das wieder vorbeigeht. Aber zu begreifen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen aus dem Ensemble nicht mehr wegzudenken sind, dass sie dieses Theater mitprägen, das hat mein Kollege auf den Punkt gebracht. Und er war stolz auf diese Entwicklung.
Vorhandenes weiterentwickeln
Oft lassen sich bestehende Materialien, Räume oder Abläufe mit geringen Anpassungen inklusiver gestalten, zum Beispiel durch die klare Vereinbarung und Einrichtung von Rückzugs- und Pausenmöglichkeiten. Dies erfordert Sensibilität und Aufmerksamkeit im Arbeitsalltag, etwa indem Routinen regelmäßig hinterfragt werden: Wo schließen sie unbeabsichtigt Menschen aus? Welche kleinen Veränderungen könnten große Unterschiede machen?
Offenheit, Freundlichkeit und Kollegialität ist wichtig. Die besprochenen Pausen müssen eingehalten werden und Proben pünktlich beginnen und enden. Überziehen ist dann okay, wenn es vorher angekündigt wird. Wichtig ist, dass man sich in den Pausen gut mit den Kollegen unterhalten kann. Keiner soll ausgegrenzt werden. Und alle sollen so sprechen, dass man es versteht.
Foto aus der Inszenierung “Drinnen und Draußen”

Expertisen einbeziehen
Damit der Wandel gelingen kann, müssen von Anfang an behinderte Perspektiven strukturell mitgedacht, eingebunden und gestärkt werden – sei es in der Konzeption, in Planungs- und Vorbereitungsprozessen oder in der künstlerischen Umsetzung. Nur so entstehen praxisnahe, realistische und akzeptierte Lösungen. Voraussetzung ist eine wertschätzende Grundhaltung, die die Verschiedenheit aller Beteiligten anerkennt und als Bereicherung versteht. Oft führt Mitsprache auch dazu, dass die Beteiligten motivierter sind und eigenverantwortlicher handeln. Das wiederum entlastet Ressourcen an anderer Stelle.
In „Anti·gone“ mit Leichter Sprache auf der Bühne zu arbeiten war schön, weil man den Text schneller verstanden hat. Anfangs haben wir verschiedene Stückübersetzungen gelesen, in Leichter und komplexer Sprache. Bei den Proben konnten wir zurückmelden, wenn uns ein Wort zu kompliziert war. So hat sich die Fassung nach und nach entwickelt.
Foto von Johanna Kappauf als Antigone

In der Spielzeit 2022/23 feierte „Anti·gone – Sophokles in Leichter Sprache" seine Premiere in Münchner Kammerspielen. In der Hauptrolle spielte Johanna Kappauf, Regie führte Nele Jahnke.
Routinen entwickeln
Wiederkehrende Erfahrungen und Arbeitsschritte sollten systematisch aufbereitet und als Wissen weitergegeben werden, etwa in Form von Checklisten, Workshops oder kollegialen Gesprächsformaten. Als essentiell haben sich für inklusives Arbeiten sensibilisierte Regieassistenzen erwiesen, die sowohl für die Herausforderungen des laufenden Betriebs wie für die besonderen Bedürfnisse einzelner beteiligter Personen ein feines Sensorium mitbringen.
2. Türen öffnen, Lösungen suchen
Es gibt nicht nur 100-Meter-Sprinter. Aber es gibt ja auch noch andere Distanzen und Sportarten.
(Jan-Christoph Gockel, Regisseur)
Inklusive Kunstpraxis setzt eine inklusive Stellenbesetzung im Bereich Ensemble, Regie und Dramaturgie voraus. Menschen mit Behinderung erfahren die Strukturen des Theaterbetriebs oft als starr, unflexibel und exkludierend. Daher müssen Strukturen verändert werden. Das Wissen und die Expertise über inklusive Theaterpraxis sollte in festangestellten Arbeitsverhältnissen gebündelt werden.
Verantwortung übertragen
Künstlerische Projektkoordinatoren sollten vor dem Hintergrund ihrer Expertise in inklusiver Kunstpraxis die Umsetzung aller Inklusionsbemühungen vorantreiben und dafür mit entsprechenden Mitteln ausgestattet sein. Sie schärfen das Bewusstsein für sichtbare und unsichtbare Barrieren, prüfen zusammen mit internen und externen Fachleuten bauliche und technische, strukturelle und kommunikative Hürden. Sie behalten Zugänglichkeiten zu Veranstaltungen und die Sensibilisierung für spezifische Bedarfe von Mitwirkenden im Blick.
Auf Kampnagel arbeiten wir an Barrierefreiheit für Publikum, Künstler*innen und Mitarbeitende, weil es unserem grundlegenden Selbstverständnis der Repräsentation der realen Gesellschaft an unserem Haus entspricht. Ohne Berücksichtigung von Behinderung und Barrieren ist auch der Ansatz einer intersektionalen Praxis nicht denkbar, der für unsere Arbeit zentral ist. In Deutschland haben grob 10% der Menschen eine anerkannte Schwerbehinderung – die tatsächliche Zahl der behinderten Menschen (auch ohne Anerkennung einer Schwerbehinderung) liegt also noch um Vieles höher. Es ist schwerwiegend und benachteiligend, dass all diese Personen seit so langer Zeit im Kulturbetrieb kaum als Publikum mitgedacht werden und noch weniger als künstlerisch prägende Figuren oder Personal in Kulturinstitutionen einen Platz haben. Diese Ausgrenzung vom künstlerischen Arbeitsmarkt, von den entsprechenden Ausbildungen und auch aus der kulturellen Teilhabe als Publikum, widerspricht in hohem Maße der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat. Aber neben dieser klaren politischen Haltung arbeiten wir auch am Abbau von Barrieren in der Kunst, da dies auch ästhetisch ein extrem spannendes Feld ist, auf dem wichtige künstlerische Forschung stattfindet. Im Dialog mit behinderten Künstler*innen hinterfragen wir, welche Sinnes-Hierarchien, Sitzanordnungen, ungeschriebenen Theatergesetze wir ungefragt annehmen, und welche ästhetischen Erfahrungen auf uns warten, wenn wir mit diesen brechen.
Kooperativ handeln
Es gibt oft viele verschiedene Bedürfnisse und Anforderungen – sowohl bei Individuen als auch Institutionen. Lösungen für diese verschiedenen Bedarfe zu finden, gelingt am besten in einem kooperativen Prozess. Dafür braucht es zum einen eine Wertschätzung der Expertise behinderter Künstler*innen und Mitarbeitenden, denn sie wissen, was sie für ihre Arbeit brauchen. Zum anderen ist ein grundsätzliches Verständnis von Inklusion innerhalb einer Institution notwendig. Umgekehrt ist es hilfreich, wenn behinderte Künstler*innen oder Mitarbeitende die Möglichkeit haben, die Institutionen mit ihren Rahmenbedingungen kennenzulernen, etwa im Zusammenhang von Hospitanzen, um später in ihnen zu arbeiten und sie mitprägen zu können.
Für mich ist das inklusive Arbeiten ein Lernprozess, auf alle Menschen zu schauen, die an einer Produktion mitwirken: Wie können sie in der Sache produktiv werden? Es gibt nicht nur 100-Meter-Sprinter. Aber es gibt ja auch noch andere Distanzen und Sportarten.
Trailer "Hospital der Geister"
Jan-Christoph Gockel hat u.a. in „Hospital der Geister”, einer Inszenierung von RambaZamba Theater und Deutsches Theater (externer Link, öffnet neues Fenster), Regie geführt.
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Minimal und wirkungsvoll
Oft lassen sich durch kleine Anpassungen und ohne zusätzliche Ressourcen große Effekte erzielen: Eine klare Strukturierung von Abläufen, die sich allen erschließt, erspart beispielsweise ebenso Missverständnisse und Verwirrung wie der Einsatz von leicht verständlicher Sprache insgesamt. Wenn Häuser auf diese Weise die dringendsten Barrieren für die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung identifizieren und schrittweise angehen, entsteht trotz enger Rahmenbedingungen eine Dynamik des Wandels.
Theater sollten unbedingt Künstler*innen mit Behinderung anstellen, und zwar zu fairen Bedingungen. Außerdem sollte es eine Ansprechperson im Haus für Belange der Barrierefreiheit geben, sonst wird die Verantwortung dafür hin- und hergeschoben. Und die Theater müssen nach Außen kommunizieren, welche inklusiven und barrierefreien Angeboten es aktuell gibt und welche nicht. Nur das schafft Vertrauen.
Inklusiver Probenprozess
Ein inklusiver Probenprozess braucht klare, gemeinsam getroffene Vereinbarungen. Rückzugsräume und mehr Pausenzeiten entlasten viele Beteiligte. Der regelmäßige und strukturierte Austausch aller ist entscheidend. Besonders in Projekten, bei denen verschiedene Häuser, Arbeitsweisen und Zielgruppen aufeinandertreffen, sollte dieser Austausch nicht nur informell stattfinden, sondern fest im Ablauf verankert sein.
Beim Proben im Theater verliert man manchmal die tatsächlichen Begegnungen aus dem Blick: Timings und Texte müssen stimmen, Szenen hergestellt und verabredet werden, und nicht selten stehen einem Fremd- und Selbstbilder, Egoismen und Eitelkeiten sowohl zur Verfügung als auch im Weg. Dies alles schien in unseren gemeinsamen Proben mit dem RambaZamba Theater – nein, nicht weg, nicht verschwunden – aber verändert, anders gewichtet zu sein.
Foto von Manuel Harder

Schritt für Schritt
Wer sich zum ersten Mal auf eine inklusive Zusammenarbeit einlässt, sollte mit einem überschaubaren Projekt starten und sich mit Institutionen austauschen, die bereits Erfahrungen gesammelt haben. Sich auf ein oder zwei Projekte zu konzentrieren und sie gut umzusetzen, ist ratsam. Bei der Entscheidung für ein solches Projekt könnte helfen, an bereits bestehende Kontakte zu Publikums- und Künstler*innen-Gruppen anzuknüpfen. Erste Projekte könnten zum Beispiel sein, bauliche Barrierefreiheit vor und hinter der Bühne herzustellen oder Leichte Sprache für künstlerische Ausdrucksformen zu nutzen. Es empfiehlt sich, von Anfang an regelmäßige Feedback-Runden und Reflexionsmöglichkeiten einzuplanen, um diesen Prozess (selbst-)kritisch zu begleiten.
Es ist sinnvoll, mit einem Vorhaben zu starten und dieses langfristig zu verfolgen. So erlebt man zusammen immer wieder Erfolge. Nach und nach kann man weitere Bereiche dazunehmen. Alles gleichzeig umsetzen zu wollen geht ohnehin nicht.
3. Künstlerische Räume erweitern
Leichter Gesang sucht eine Sprache
Die alle sprechen können
Die aber auch für alle fremd ist
Damit alle auf die Sprache zugehen
Damit alle sich vielleicht treffen können
(Nele Stuhler, Dramatikerin)
Durch das Zusammenspiel von verschiedenen Ausdrucksweisen (Leichte Sprache, Gebärdensprache) eröffnen sich auf der Bühne neue künstlerische Räume. Auch durch Kooperationen auf institutioneller Ebene entsteht eine produktive Reibung, etwa wenn Stadt- und Staatstheater mit inklusiven Theatern und der Freien Szene zusammenarbeiten. Es empfiehlt sich, den fachlichen Austausch mit zuständigen Verbänden und spezialisierten Organisationen zu suchen, da so Wissen ins Haus geholt wird und inklusives Arbeiten weiter verstetigt werden kann.
Neue Ästhetiken
In der Auseinandersetzung mit verschiedenen Sprachen entstehen neue Formen der Bühnenkunst. Über inklusive Autor*innenschaft für Uraufführungen oder für die dramaturgische Bearbeitung von Theaterstoffen werden diese Perspektiven von Anfang an in Inszenierungen eingeschrieben.
Trailer Leichter Gesang
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Das Theaterstück „Leichter Gesang” ist eine Produktion von RambaZamba Theater und Deutsches Theater. Sie wurde von der Autorin Nele Stuhler entwickelt und am Deutschen Theater in der Spielzeit 2025/26 uraufgeführt. Gefördert in pik – Programm für inklusive Kunstpraxis (externer Link, öffnet neues Fenster).
Vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten
Sprachliche Vielfalt kann künstlerisch inszeniert werden. Bühnentexte, in denen zum Beispiel Deutsche Gebärdensprache (DGS) fester Bestandteil ist, können zu überraschenden sprach-künstlerischen Umsetzungen führen. Ein weiterer Ansatz ist die Audiodeskription (AD), die sich an ein sehbehindertes und blindes Publikum wendet. AD-Mitarbeitende laden das Publikum vor der Vorstellung zu einer Tastführung auf der Bühne ein und schildern während der Vorstellung in Sprechpausen über Kopfhörer die Vorgänge auf der Bühne.
Deutsche Gebärdensprache hat unsere Theaterästhetik bereichert, unser Publikum verändert und völlig neue Begegnungen in unserem Haus ermöglicht. Beim Auftragswerk „Altbau in zentraler Lage“ begannen diese Begegnungen zwischen Tauben und Hörenden bereits im Schreibprozess, gingen durch die Proben in Ensemble und Gewerke über und setzten sich durch die Aufführungen und Nachgespräche schließlich ins Publikum fort.
Trailer: Altbau in zentraler Lage
Das Theaterstück „Altbau in zentraler Lage” hat das Schauspiel Leipzig gemeinsam mit Tauben Künstler*innen und Experten für Gebärdensprache entwickelt. Die Autorin Raphaela Bardutzky hat sich für einen inklusiven Schreibprozess entschieden und das Stück gemeinsam mit der Tauben Schauspielerin Athena Lange geschrieben. Gebärden- und Lautsprache sind miteinander verschränkt und lassen einen neuen Sprachraum entstehen. Gefördert in pik – Programm für inklusive Kunstpraxis (externer Link, öffnet neues Fenster).
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Institutionelle Kooperationen
Wenn Stadttheater mit ihrer sehr eigenen Logik auf inklusiv arbeitende Gruppen aus der Freien Szene treffen, dann entsteht zwangsläufig Reibung. Unterschiedliche Arbeitsweisen müssen kennengelernt und gemeinsame Arbeitsabläufe ausgehandelt werden. Dieser Prozess kann bei Mitarbeitenden Irritationen hervorrufen und als Herausforderung empfunden werden. Mehrheitlich hat sich gezeigt, dass dieses Aufeinandertreffen zu neuen Denkansätzen und neuen ästhetischen Lösungen – emotional, originell, klug – geführt hat.
Es braucht Menschen, die die Zusammenarbeit zweier Häuser und Ensembles nicht nur als Aufgabe erleben, sondern vor allem als Gewinn und Verdopplung der eigenen künstlerischen Kraft. Auch braucht es offene Fenster und offene Büros, in denen etwas passieren kann, was am Theater selten ist: Es braucht ungeplante Begegnungen, absichtslose Gespräche, kleine Revolten gegen Termindruck und Effizienz.
4. Mehr Zeit, andere Zeit
Wie man unterschiedlichen Zeitbedarfen gerecht werden kann? Bewusstsein schaffen!
(Laura Besch, Künstlerische Leitung Theater Thikwa)
Inklusive Theaterarbeit braucht ein anderes Zeitmanagement: Langfristige Planungen und die Anpassung von Produktionsbedingungen sind notwendig, damit alle Beteiligten professionell miteinander arbeiten können.
Langfristig planen, frühzeitig einbinden
Produktionen mit Künstler*innen mit Behinderung sollten langfristig geplant werden. Regie, Künstler*innen, Produktionsleitung und -koordination, aber auch die Gewerke sollten frühzeitig in den Prozess eingebunden werden. So kann es helfen, die Künstler*innen bereits in die Konzeptionsphase einzubinden und zum Beispiel zur Bauprobe einzuladen. Zugänglichkeiten wie Gebärdensprach-Dolmetschung und Audiodeskription müssen ebenfalls frühzeitig angedacht und entsprechende Expert*innen engagiert werden. Je klarer Zuständigkeiten, Zeitpläne und Kommunikationswege definiert sind, desto leichter gelingt die Zusammenarbeit. Der gesamte Prozess erfordert viele Abstimmungen, die von Projektverantwortlichen koordiniert werden sollten.
Wie man unterschiedlichen Zeitbedarfen gerecht werden kann? Bewusstsein schaffen! Am Theater gibt es oft zu wenig Bewusstsein dafür, dass es Unterschiede im Zeitempfinden, in Pausenbedarfen und bei der maximalen Arbeitsdauer am Stück geben kann und darf. Es ist wichtig sich selbst und andere dahingehend kontinuierlich und bewusst zu befragen. Daraus können sich gemeinsame Arbeitsweisen entwickeln.
Film über die Entstehung von “BUMM, KRACH, BOING!”
Hinter den Kulissen: Wie die gemeinsame Produktion von Theater Thikwa und GRIPS Theater entstand.
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Probenstruktur verändern
Frühzeitig sollte gemeinsam mit den Beteiligten herausgefunden werden, welche Probenstruktur und Arbeitsabläufe den Bedarfen der Mitwirkenden gerecht werden. Bei Schauspieler*innen mit kognitiven Beeinträchtigungen hat sich zum Beispiel gezeigt, dass es in der Tendenz mehr Bühnenproben, mehr Zeit für das Lernen von Texten zusammen mit den Regieassistent*innen sowie Gelegenheiten für die Reflexion der gemeinsamen Arbeit geben muss. Außerdem hat es sich als hilfreich erwiesen, an Vorstellungstagen kein anderes Stück zu proben.
Für uns als Institution war interessant zu schauen, was das bedeutet, wenn man zwölf Wochen Probenzeit teilt: Kann man Spielende aus dem Repertoirebetrieb rausnehmen und in zwei Probenblöcke setzen? Ist das durch den Tarifvertrag NV Bühne abgedeckt? Ist das eine Produktion, weil es ja auch nur eine Premiere gibt? Oder sind das zwei Produktionen, weil der Zeitaufwand größer ist? Das freie Kollektiv i can be your translator ist andere Zeiten gewohnt, probt nicht zweigeteilt. Also mussten wir mit den Spielenden besprechen: Können wir durchgehend proben? Und ist das für Kolleg*innen mit Elternverpflichtungen machbar?
Julia Wissert spricht bei einem Podiumsgespräch über die Zusammenarbeit mit i can be your translator
Wie hat die Zusammenarbeit mit dem Kollektiv i can be your translator das Schauspiel Dortmund verändert? Die Intendantin Julia Wissert schildert ihre Perspektive während des Podiumgsgesprächs „Künstlerische Visionen für ein inklusives Theater” (November 2024).
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Access Rider
Bei der Neuorganisation von Zeit am Theater kann ein Access Rider helfen, ein Dokument, in dem die Bedarfe der beteiligten Künstler*innen gesammelt werden. Der Access Rider informiert zum Beispiel, welche Probenformen möglich sind. Für die Erarbeitung des Dokuments müssen Zeit und Ressourcen eingeplant werden.
Ich brauche Raum, der Außergewöhnliches zulässt. Dafür braucht es gegenseitiges Vertrauen und Menschen, die bereit sind, kreativ und neu zu denken. Bedenkenträger sind für mich schwierig. Aber diejenigen, die sagen „Ja, das probieren wir! Ja, wir suchen eine Lösung!“, sind ein guter Boden für meine Arbeit.
Foto Samuel Koch

5. Selbstverständliche Sichtbarkeit
Erst wenn ich den Bösewicht spielen darf, kann man von Inklusion sprechen.
(Jonas Sippel, Schauspieler am RambaZamba Theater Berlin)
Als eine Form zeitgenössischen Theaters ist inklusive Kunstpraxis inzwischen an vielen Stadt- und Staatstheatern selbstverständlicher Teil der regulären Spielpläne. Im Sinne einer optimalen Besucheransprache zählen barrierefreie Angebote für das Publikum mittlerweile zum Standard-Repertoire der Theater. Auch in künstlerischen Entscheidungsgremien wie Jurys, Kuratorien und Findungskommissionen müssen Künstler*innen und Kulturschaffende mit Behinderung wirken.
Ankündigung inklusiver Inszenierungen
Die Zusammenarbeit mit Künstler*innen mit Behinderung bereichert das kreative Geschehen und bringt neue Perspektiven auf die Bühne. Einige Theater verzichten bewusst auf Labels wie „inklusiv“, um keine Besonderheit zu suggerieren. Andere entscheiden sich für eine transparente Darstellung, um das Bewusstsein für Barrieren und Zugänglichkeit zu schärfen. Generell werden die Begriffe „Inklusion“ und „inklusiv“ kritisch reflektiert und zugleich oft als schwer zu ersetzen empfunden.
Nicht durch Verschleierung nimmt man das Publikum mit, aber gewiss durch den Anspruch, Theaterabende zu erschaffen, in denen sich aus der Verbindung zweier künstlerischer Kosmen etwas Drittes ergibt, das für sich selbst sprechen kann, das keiner Erklärung mehr bedarf und keiner Zuschreibung mehr genügt.
Foto von Jonas Sippel

Jonas Sippel, Schauspieler am RambaZamba Theater, sagte:
Erst wenn ich den Bösewicht spielen darf, kann man von Inklusion sprechen.
Publikum barrierefrei ansprechen
Um Menschen mit Behinderung als Publikum anzusprechen, muss über Access-Angebote (zum Beispiel Audiodeskription oder Gebärdensprache) zielgruppenspezifisch informiert und bestehende Barrieren offen kommuniziert werden. Erfolgversprechend ist, adressierte Gruppen gezielt über Newsletter und Vernetzungsarbeit innerhalb der Communitys einzuladen. Über diesen Austausch lässt sich auch vermeiden, Angebote an den Bedarfen des Publikums vorbei zu entwickeln. Bei der barrierefreien Kommunikation mit dem Publikum sollte auch das Vorderhauspersonal regelmäßig im mehrsprachigen Umgang mit dem Publikum geschult werden.
Es gibt nicht das Publikum, sondern ganz viele unterschiedliche Besucher*innen, denen unterschiedliche Dinge wichtig sind. Wenn wir barrierefreie Angebote machen, entwickeln wir daher vielfältige Kommunikationsformen nach außen. Natürlich bewerben wir die Stücke, Community-Treffen, Workshops oder Partys, für die wir Access-Tools anbieten, wie alles andere im Programmheft, auf Plakaten, in Social Media und auf der Webseite. Zusätzlich entwickeln wir, abgestimmt auf das Angebot, einen barrierefreien Outreach: Video-Flyer in DGS, Audio-Flyer und Transparenz über vorhandenen und fehlenden Access sind ein Teil. Ein anderer Teil ist der Kontakt mit verschiedenen behinderten Communities. Beispielsweise dem blinden und sehbehinderten Publikum, das wir versuchen mit unserem Outreach-Format HEY LISTEN zu erreichen, oder der Beratungsgruppe Deaf Kampi, die uns unterstützt, den Zugang und das Programm für Taubes Publikum passend zu gestalten.
Kinder- und Jugendtheater
Ausgehend von ihrem per se sehr diversen Publikum entwickeln Kinder- und Jugendtheater Geschichten, die die Vielfalt des Publikums aufgreifen, und Angebote, die Inklusionsbedarfe selbstverständlich berücksichtigen. Mit diesen vielfältigen künstlerischen Ausdrucksformen prägen sie unmittelbar die Wahrnehmung ganzer Generationen.
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Das Theater Thikwa und das GRIPS Theater haben die Produktion „BUMM, KRACH, BOING!” für Menschen ab 6 Jahren gemeinsam entwickelt und feiern mit ihrem Publikum die Verschiedenartigkeit aller Menschen.
Sichtbarkeit und Reflexion
Die Expertise von Künstler*innen mit Behinderung sollte auch in Jurys und kuratorischen Teams eingebunden werden, die über Festivalprogramme oder die Vergabe von finanziellen Mitteln entscheiden. Sie können Perspektiven und Positionen einbringen, die sonst oft übersehen werden. Auch die zunehmende Sichtbarkeit inklusiver Arbeit in der Fachöffentlichkeit trägt zu strukturellen Veränderungen bei. Festivals und Podiumsdiskussionen, Fachartikel und kritische Auseinandersetzungen mit den künstlerischen Ergebnissen helfen dabei, inklusive Theaterarbeit in der breiten Kulturlandschaft zu verankern.
6. Inklusion langfristig verankern
Diese Arbeit ist kein Nice-to-have, sondern Teil unseres gesamtgesellschaftlichen Auftrags zur Erreichung der Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention.
(Alina Buchberger, Dramaturgin Kampnagel)
Um ein Theater vor, auf und hinter der Bühne langfristig barrierefrei auszurichten, müssen strukturelle Änderungen in der Ressourcenplanung berücksichtigt werden. So müssen die finanziellen Mittel für den Ausbau der Zugänglichkeit für das Publikum aus einem nicht-künstlerischen Etat bereitgestellt werden. Die Kosten für höheren Assistenzbedarf von Theatermitarbeitenden wiederum müssen im Personalbudget kalkuliert werden.
Stabile Beziehungen
Menschen mit Behinderung sollten in allen Bereichen des Theaters dauerhaft präsent sein, idealerweise auch in der Dramaturgie, der Technik, der Kantine. Außerdem sollten inklusive Arbeitspraktiken in den Alltag integriert und durch klare Verantwortlichkeiten abgesichert werden. In dem Moment, in dem sich neue Routinen etablieren, fällt ein großer Teil des zusätzlichen Aufwands inklusiver Produktionen weg. Langfristige Prozesse, stabile Beziehungen, konstante Teams und transparenter Wissenstransfer sind auch für den institutionellen Wandel hin zu einem inklusiven Theater förderlich.
Dauerhafte Präsenz
Wichtige Voraussetzung für die nachhaltige Verankerung inklusiver Arbeitsweisen ist der Wille von Theaterleitungen, langfristig inklusiv zu arbeiten und Ensemblestellen entsprechend zu besetzen. Ebenso wichtig ist der politische Wille, finanzielle Mittel für einen Ausbau der Zugänglichkeit bereitzustellen und Inklusion als Aufgabe auch über die Laufzeit von einzelnen Intendanzen hinaus zu verankern. Hier könnten Verbände sowie weitere Kooperationen zwischen Stadt- und inklusiven Theatern helfen.
Für dauerhafte strukturelle Veränderungen muss sich eine Arbeitsgruppe im Deutschen Bühnenvereinen engagieren. Ich finde, ein großes Theater sollte ein inklusives Ensemble haben. Ich würde gerne erreichen, dass Inklusion Teil eines Ausschreibungsprozesses ist. Die Ausgestaltung ist dann die künstlerische Freiheit eines Hauses.
Netzwerke und Dialog
Der Aufbau und die Pflege von Netzwerken – zu anderen inklusiv arbeitenden Häusern, Gruppen, Künstler*innen wie zum Publikum – spielt eine ebenso zentrale Rolle bei der Verstetigung von inklusivem Arbeiten wie der Austausch und das Einholen von externem Fachwissen. Hier helfen Fachverbände wie der Bundesverband Theaterpädagogik und spezialisierten Organisationen wie zum Beispiel Diversity Arts Culture, Making a Difference und Un-Label oder Netzwerke wie jenes, das im Rahmen von pik entstanden ist. An den Häusern lässt sich das Fachwissen durch feste Stellen bündeln und weitergeben, etwa in Form von Diversitätsbeauftragten, Inklusionskoordinator*innen oder in künstlerischen Tandems.
Diese Arbeit ist kein Nice-to-have, sondern Teil unseres gesamtgesellschaftlichen Auftrags zur Erreichung der Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention.
Leitungspositionen inklusiv besetzen
Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch eine der künstlerischen Räume, dass Institutionen Theaterschaffende mit Behinderung mit künstlerischen Leitungsaufgaben betrauen. Disabled Lead gehört zu den wichtigsten Aufgaben, die der Theaterbetrieb in Zukunft angehen muss. Erste Beispiele zeigen, dass sich damit auch die Programmgestaltung und Ästhetiken verändern.
7. Professionalisierung fördern
Eine Ausbildung dauert bei uns zwei Jahre, danach erhält man ein Zertifikat und ist dann Teil des Ensembles. Die Unterstützung in dieser Zeit ist für mich wie ein Hubschrauber, der einen Container auf einem Schiff ablädt.
(Max Edgar Freitag, Schauspieler Theater Thikwa)
Um Menschen mit Behinderung für eine Tätigkeit in Kunst und Kultur vorzubereiten, müssen öffentlich finanzierte Ausbildungsstätten inklusiver werden. Bislang gibt es nur wenige inklusiv ausgerichtete Ausbildungsangebote. Einzelne Theater versuchen, diese Lücke zu überbrücken und entwickeln dabei Modelle, deren Übertragbarkeit auf etablierte Ausbildungsstätten zu überprüfen lohnt. Behinderte Künstler*innen verfügen zudem über wertvolle Expertise, die sie in Lehraufträgen und Workshops weitergeben können sollten.
Talente entwickeln
In die aktuelle strukturelle Leerstelle im Bereich Aus- und Weiterbildung übernehmen Netzwerke und Einzelpersonen eine zentrale Rolle. Engagierte Akteur*innen, die selbst in der Szene aktiv sind, machen Talente sichtbar, geben Empfehlungen und schaffen informelle Zugänge.
Ausbildungsinstitutionen inklusiv aufstellen
Die Absolvent*innen der ersten inklusiven Ausbildungswege sind aktuell noch zu selten bei Absolventenvorsprechen vertreten. Institutionen und Gruppen wie das RambaZamba Theater, das Theater Thikwa, Meine Damen und Herren oder die Freie Bühne München haben zugleich eigene Ausbildungsstrukturen geschaffen, von denen die kooperierenden Stadt- und Staatstheater sowie Film und Fernsehen profitieren.
Es braucht dringend eine Reform der Ausbildung, etwa die Möglichkeit, sie zu zertifizieren. Und eine weitere Öffnung der Hochschulen für Künstler*innen mit Behinderung.
Praxis als Weiterbildung
Theater werden Schauspieler*innen, Autor*innen, Regisseur*innen und Dramaturg*innen mit Behinderung auch im praktischen Betrieb schulen müssen. Bereits jetzt bieten erste Häuser individuelle Fortbildungsangebote für die im Ensemble engagierten Schauspieler*innen an, etwa Gesangs- und Sprechtrainings. Helfen kann dabei das persönliche Budget, das vielen Künstler*innen mit Behinderung zur Verfügung steht, um Fortbildungsmaßnahmen zu finanzieren, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind.
Voneinander lernen
Fortbildungen sollten keine Einbahnstraßen sein, denn viele behinderte Künstler*innen verfügen über wertvolle Expertise. So sind einige körperbehinderte Künstler*innen längst als Lehrbeauftragte und Workshopleiter*innen aktiv und werden für Weiterbildungen eingeladen. Für Künstler*innen mit kognitiver Beeinträchtigung haben sich Tandemstrukturen als wirkungsvoll erwiesen, in der jede Position einer Produktion mit einer behinderten und einer nicht-behinderten Person besetzt ist. Sie schaffen Raum für gemeinsames Lernen und überbrücken strukturelle Ungleichheiten im Zugang zu künstlerischen Positionen.
Theaterpädagogische Angebote als erster Berührungspunkt
Hospitationen und Praxisformate können behinderten Künstler*innen helfen, sich mit dem Arbeiten im Stadttheater vertraut zu machen und ihrerseits ihre Perspektiven einzubringen. Ein mögliches Format ist ein regelmäßiges inklusives Profitraining, das sich an professionelle Tänzer*innen mit und ohne Behinderung richtet für künstlerische Begegnung, fachlichen Austausch und kontinuierliche Weiterentwicklung. Inklusive theaterpädagogische Workshops ermöglichen zudem erste Erfahrungen mit der Bühne und mit dem Aufbau inklusiver Jugendclubs den Zugang junger Menschen mit und ohne Behinderung zu kreativen Prozessen.
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