31.01.2010 - Pressemitteilung der Kulturstiftung des BundesFonds Wanderlust – Zwei Millionen Euro für internationale Theaterpartnerschaften

Pressemitteilung der Kulturstiftung des Bundes

Die Kulturstiftung des Bundes hat einen Fonds für internationale Theaterpartnerschaften eingerichtet. Der Fonds Wanderlust soll deutschen Stadt-, Staats- oder Landestheatern die Zusammenarbeit mit Bühnen im europäischen und außereuropäischen Ausland ermöglichen. Gefördert werden feste Austauschpartnerschaften für die Dauer von zwei bis drei Spielzeiten. Die Zusammenarbeit reicht vom Austausch künstlerischen Personals über Gastspiele bis hin zu gemeinsamen Produktionen.

Die Jury des Fonds Wanderlust beriet in ihrer ersten Sitzung am 27. Januar 2009 über 27 eingereichte Anträge und empfahl 14 Projekte zur Förderung. Die Kulturstiftung des Bundes fördert jede Partnerschaft mit bis zu 150.000 Euro. Die Gesamtfördersumme dieser 14 Projekte beträgt knapp
zwei Millionen Euro.

Gefördert werden Partnerschaften zwischen Theatern in folgenden Städten: Stuttgart und Barcelona (Spanien), Freiburg und Istanbul (Türkei), Oldenburg und Gent (Belgien), Aachen und Prag (Tschechien), Berlin und Leeds (Großbritannien), Osnabrück und Russe (Bulgarien), Mannheim und Bangalore (Indien), Oberhausen und Sibiu (Rumänien), Leipzig und Dschenin (Palästinensische Gebiete), Halle und Saran (Frankreich), Tübingen und Petrozavodsk (Russland), Heidelberg und Tel Aviv (Israel), Berlin und Kraków (Polen) sowie Schwedt und Szczecin (Polen). Die Art der Zusammenarbeit reicht von zweisprachigen Koproduktionen über Stückaufträge, Rechercheprojekte, theatralische Interventionen im Stadtraum bis zu Jugendprojekten. Der Austausch von Mitarbeitern wie Regisseuren, Autoren, Maskenbildnern, Technikern, Schauspielern etc. und Gastspielen ergänzt die umfangreichen Planungen der Theater.
 


Im Folgenden finden Sie ausführlichere Informationen zu den einzelnen Theaterpartnerschaften im Fonds Wanderlust:
 


Staatstheater Stuttgart und Teatre Romea Barcelona (Spanien):
Menschen, Autos und das Öl. Die Autobauer von Barcelona und Stuttgart

Barcelona und Stuttgart sind Zentren der Automobilindustrie. Große Konzerne wie Daimler oder Seat gehören dort zu den wichtigsten Arbeitgebern. Die Zulieferindustrie beider Städte ist über viele Firmen und Niederlassungen verbunden, Entscheidungen in Stuttgart beeinflussen die Arbeitsverhältnisse in Barcelona und umgekehrt. Die Krise der ganzen Branche wird auch die Städte und ihre Bewohner verändern. Das Staatsschauspiel Stuttgart und das Romea Theater unter der Intendanz von Calixto Bieito schicken jeweils ein Team aus Autoren und Dramaturgen in die fremde Stadt, um vor Ort Lebensgeschichten von Arbeitern und Angestellten der Autofabriken sowie Fakten rund um die Autoproduktion zu sammeln. Aus dieser Recherche entwickeln die Autoren Theatertexte, die ab Herbst 2010 in Stuttgart und Barcelona auf die Bühne kommen.
 


Theater Freiburg und garajistanbul (Türkei):
Cabinett. Ein deutsch-türkisches Theaterprojekt

Angela Merkel, Dieter Bohlen und Marlene Dietrich sind in Deutschland allseits bekannt. Aber wie verhält es sich mit Nazim Hikmet, Duygu Asena oder Cahide Sonku? Das Theater Freiburg und die garajistanbul stellen je zehn deutsche und türkische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens - Ikonen aus Politik, Unterhaltung oder Medien - in den Mittelpunkt dieses Theaterprojektes. Eine deutsch-türkische Gruppe bestehend aus Schauspielern, Tänzern, Musikern und Videokünstlern beschäftigt sich in gemeinsamen Reisen, Workshops und Probenphasen mit dem jeweils fremden "Cabinett". Die entstehenden Szenen und Bilder der unterschiedlichen kulturellen Identitäten verdichten sich im Verlauf zu einem Theaterstück, das in der garajistanbul, dem ersten politisch unabhängigen Spielort der Türkei, und am Theater Freiburg zu sehen sein wird.
 


Oldenburgisches Staatstheater und Kopergietery Gent (Belgien):
the pursuit of happiness

Die belgische Kopergietery hat mit wunderbar poetischen Theaterarbeiten zwischen Tanz, Performance, Konzert und Schauspiel auf sich aufmerksam gemacht. Das Junge Staatstheater Oldenburg verfolgt einen ähnlichen Ansatz in seinen spartenübergreifenden Projekten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Nach einer gemeinsamen Recherche über Kinder, die auf eigene Faust versuchen, illegal nach Europa zu kommen, wollen beide Bühnen dem Traum vom Recht auf ein glückliches Leben nachgehen. Aufführungen, Workshops und Gastspiele finden in Oldenburg und Gent statt.
 


Theater Aachen und Divadlo Komedie Prag (Tschechien):
Austerlitz. Ein Erinnerungsparcours in deutscher und tschechischer Sprache

In den Wirren der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts begibt sich Jacques Austerlitz, die Hauptfigur in W.G. Sebalds gleichnamigem Roman, auf die Suche nach seiner Identität. Die Spur führt ihn von Prag über Theresienstadt, Paris, Belgien und Aachen bis nach England. Das Theater Aachen und die Prager Divadlo Komedie inszenieren in Anlehnung an Sebalds Roman die Gedankenwelt von Austerlitz als begehbare audiovisuelle Installation in Form eines menschlichen Gehirns. Es entsteht ein Labyrinth der Erinnerungen, das die Zuschauer mit Hilfe von Audioguides erkunden können. In der Vorbereitungsphase führen Recherchen und Tonaufnahmen in Prag beide Ensembles zusammen. Die Premiere in Aachen findet auf dem Theatervorplatz mit deutsch-tschechischem Ensemble und unter Mitwirkung des Seniorenclubs Ü55 des Theaters Aachen statt. Im Anschluss wird die theatrale Installation - überarbeitet und angepasst an die neue Örtlichkeit - in Prag gezeigt.
 


Theater an der Parkaue und West Yorkshire Playhouse Leeds (Großbritannien):
Borderlines. Grenzerkundungen zwischen Berlin und Leeds

Eine Gruppe deutscher und englischer Jugendlicher begibt sich auf Grenzgänge - entlang der ehemaligen Mauer in Berlin und an den Grenzen zwischen den Stadtteilen in Leeds. In der Recherche vor Ort versuchen die Teilnehmer herauszufinden, wie die historischen, sozialen und mentalen Grenzen ihre Identität bestimmen. Die Ergebnisse dieser Begegnungen werden zunächst in Werkstattaufführungen der Jugendlichen in beiden Städten gezeigt. Der Berliner Regisseur Lajos Talamonti und die britische Autorin Aisha Khan entwickeln daraus eine Inszenierung, die mit Schauspielern beider Häuser in beiden Städten zu sehen sein wird. Darüber hinaus sind ein Mitarbeiteraustausch, gegenseitige Gastspielbesuche sowie ein internationales Forum für Theaterpädagogik und Kunstvermittlung geplant.
 


Theater Osnabrück und Drama Theater Russe (Bulgarien):
Die Stimmen von Russe

Elias Canetti wurde 1905 in der bulgarischen Stadt Russe geboren. Die behutsame Annäherung an eine andere Kultur, wie er sie in seinem Roman "Die Stimmen von Marrakesch" beschreibt, ist Vorbild für die Partnertheater, die sich zunächst im Austausch von Mitarbeitern, Schauspielern und neuen Theaterstücken begegnen wollen. Geplant sind die deutschsprachige Erstaufführung eines bulgarischen Stückes in Osnabrück, ein Schreibworkshops eines bulgarischen Autors sowie Gastauftritte von Schauspielern aus beiden Ensembles im jeweils anderen Theater. Höhepunkt der Zusammenarbeit wird eine gemeinsame Canetti-Inszenierung sein, in der sich deutsche Textarbeit und der choreografische Stil des bulgarischen Theaters verknüpfen sollen.
 


Nationaltheater Mannheim / Schnawwl und Ranga Shankara Theater Bangalore (Indien):
Do I know U?

Schillers "Kabale und Liebe" erzählt von Missverständnissen, Vorurteilen und unterschiedlichen Wertevorstellungen in einer erstarrten Gesellschaft. Dass das Stück eine Brücke zwischen den so unterschiedlichen Lebenswelten in Mannheim und Bangalore schlagen kann, wollen die Jugendsparte des Mannheimer Nationaltheaters, Schnawwl, und das Ranga Shankara Theater Bangalore in einer deutsch-indischen Koproduktion zeigen. Mannheim und Bangalore sind beides durch Industrie-Migration geprägte Städte. Die Herausforderungen für das Zusammenleben und mögliche kulturelle Konflikte greifen die beiden Theater in ihrer "Kabale und Liebe"-Adaption wie auch in den anderen Phasen ihrer Partnerschaft auf und bringen sie auf die Bühne. Gastspielbesuche und gemeinsame Workshops bieten darüber hinaus Gelegenheit, Arbeitsweisen und Techniken des jeweils anderen Ensembles kennenzulernen.
 


Theater Oberhausen und Nationaltheater Radu Stanca Sibiu (Rumänien):
Zwei Orte - Ein Stück

Über die Recherche zu einem Theaterprojekt zum Thema Migration kamen das Theater Oberhausen und das Nationaltheater Radu Stanca in Sibiu erstmals in Kontakt. Die Fragen, was es für einen Jugendlichen afrikanischer Herkunft aus Oberhausen bedeutet, einen deutsch sprechenden jungen Menschen aus Sibiu zu treffen, und welche Vorstellungen von Heimat oder Zugehörigkeit sich daraus ergeben, stehen am Anfang der intensiven Zusammenarbeit. Dann wird sich der Regisseur und Performer Bernhard Mikeska mit Schuberts Winterreise im Gepäck auf Spurensuche nach Sibiu begeben, um später seine Eindrücke als Theaterperformance in Oberhausen zu präsentieren. Des Weiteren werden die Ergebnisse von zwei Stückaufträgen, an den deutschen Autor Lothar Trolle und den Rumänen Peca Stefan, über deren Erfahrungen in der jeweils fremden Stadt als gemeinsame Aufführung "Zwei Orte - Ein Stück" an beiden Theatern präsentiert.
 


Schauspiel Leipzig / Spinnwerk und Freedom Theatre Dschenin (Palästinensische Gebiete): Homeland Biladi

Was der Begriff Heimat für die Jugendlichen im Flüchtlingslager Dschenin im palästinensischen Westjordanland bedeutet, ist schwer in Worte zu fassen. Gemeinsam mit Jugendlichen des Spinnwerk, dem Theaterwerk für Kinder- und Jugendprojekte des Schauspiel Leipzig, will das Freedom Theatre in Dschenin mit den Mitteln des Theaters einen fiktionalen Ort für Jugendliche schaffen, der ihnen einen Möglichkeitsraum für eigene Ideen und Hoffnungen bietet. Die Performer Jörg Lukas Matthaei und Nabil al Raee arbeiten mit 20 Jugendlichen aus Dschenin und Leipzig über zwei Spielzeiten zusammen, entwickeln Texte und Szenen aus ihren Geschichten, die in zwei theatralischen Interventionen im öffentlichen Raum an beiden Orten zur Aufführung kommen werden. Begleitet wird diese Kooperation von einem Rahmenprogramm, in dem unter der Leitung des Hausphilosophen am Schauspiel Leipzig, Guillaume Paoli, das Projekt, aktuelle politische Entwicklungen sowie die politischen Implikationen der Partnerschaft diskutiert und beleuchtet werden sollen.
 


Thalia Theater Halle und Théâtre de la Tête Noire Saran (Frankreich):
Grenzgänge(r) / Outrepasseurs

Obwohl Deutschland und Frankreich geographisch betrachet direkt aneinander grenzen, könnte der Abstand zwischen beiden Länder hinsichtlich ihrer Theaterästhetik kaum größer sein. Jährliche deutsch-französische Autorenpartnerschaften und gemeinsame Theaterinszenierungen sollen diese Distanz verringern. Im ersten Jahr treffen der Hallenser Dramatiker Dirk Laucke und sein französischer Kollege Silvain Levey aufeinander und entwickeln gemeinsam ein Theaterstück, das an beiden Theatern zur Aufführung kommt. Den Autoren ist es überlassen, den Ort und die Art der Inszenierung zu bestimmen und ein Team zusammenzustellen. Die Form der Inszenierung ist offen angelegt und kann von Installationen und Interventionen im öffentlichen Raum bis hin zu interdisziplinären Projekten reichen.
 


Landestheater Tübingen und Nationaltheater Karelien Petrozavodsk (Russland):
Druschba

An der Grenze zu Finnland im einsamen Karelien gelegen, spielt das Karelische Nationaltheater Petrozavodsk auf Finnisch und Russisch. Die knapp 20-jährige Städtepartnerschaft zwischen Tübingen und Petrozavodsk wird nun um eine Theaterpartnerschaft erweitert. Das Landestheater Tübingen und die karelische Bühne planen Gastregien der beiden Hausregisseure am jeweils anderen Haus. Die Premieren der Gastinszenierungen sind jeweils in ein kleines Festival neuer Dramatik eingebettet. Abschluss der Kooperation bildet die dreisprachige Produktion "Romeo und Julia", in der besonders Aggressionen gegenüber dem Fremden und die Utopie von der Überwindung kultureller Grenzen thematisiert werden sollen.
 


Theater Heidelberg und Teatron Beit Lessin Tel Aviv (Israel):
Familienbande

Beziehungen und Geschichte der beiden Staaten Deutschland und Israel mit dem Begriff Normalität zusammenzubringen, scheint schlicht nicht möglich. Genau deshalb steht das ‚normale Leben' in der kleinsten gesellschaftlichen Einheit, der Familie, im Fokus zahlreicher gemeinsamer Theaterprojekte des Theaters Heidelberg mit dem zweitgrößten Theater Israels. Sechs künstlerisch eigenständige deutsch-israelische Teams aus Schauspielern, Regisseuren, Filmemachern und bildenden Künstlern entwickeln Performances im Stadtraum, "Familienaufstellungen", Stücke und Präsentationen im Rahmen des Heidelberger Stückemarktes. Jugendliche aus beiden Ländern begleiten die Inszenierungen und Begegnungen und verarbeiten ihre Eindrücke zu einem Dokumentarfilm.
 


Maxim Gorki Theater Berlin und Narodowy Stary Teatr Kraków (Polen):
529 km mit Zukunft

Berlin und Kraków (Krakau) sind 529 km voneinander entfernt. Die Geschichte der Verletzungen und Zerstörungen, der gegenseitigen Vorurteile und Differenzen zwischen beiden europäischen Kulturstädten impliziert eine viel größere Entfernung. Die gemeinsame theatralische Beschäftigung mit dem Filmklassiker "Sein oder Nichtsein" von Ernst Lubitsch, einer Komödie über die deutschen Besatzer in Polen und eine Reflexion über die Wechselwirkung von Kunst und Wirklichkeit, steht im Mittelpunkt der Zusammenarbeit von Maxim Gorki Theater und Narodowy Stary Theater. Darüber hinaus schreiben beide einen Wettbewerb für junge Filmemacher, Dramatiker, Schauspieler und Performer aus. Gesucht werden Ideen für ungewöhnliche künstlerische Interventionen auf der Zugstrecke zwischen Krakau und Berlin. So soll eine neue Kartografie dieser 529 Kilometer entstehen.
 


Uckermärkische Bühnen Schwedt und Oper im Schloss Szczecin (Polen): "Eine Berliner Operette erobert die Grenzregion. Die deutsch-polnische Koproduktion der Operette Frau Luna"

Seit 1992 herrscht zwischen den Uckermärkischen Bühnen Schwedt und der Oper im Schloss Szczecin (Stettin) unter dem Titel "Theater Grenzenlos" ein reger Austausch an Gastspielen, Projekten und Zuschauern. Gemeinsam realisieren die Partnertheater nun erstmals eine große gemeinsame Produktion, die 1899 von Paul Lincke komponierte und in Berlin uraufgeführte Operette "Frau Luna". Die Aufführungen finden mit deutschen und polnischen Spielern und Sängern sowie Chor, Ballett und Orchester in Schwedt, Frankfurt/Oder und Stettin statt. Flankiert wird die Produktion von gegenseitigen Arbeitsbesuchen und gemeinsamen Workshops beider Ensembles. Eine enge Zusammenarbeit ist auch im Bereich Marketing geplant, in der es vor allem um die Einbeziehung von Publikum beiderseits der Grenze gehen soll. Ein öffentliches Werkstattgespräch über grenzüberschreitende Theaterprojekte beschließt die Zusammenarbeit im Rahmen vom Fonds Wanderlust.

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