„Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge, findet den Vereinzelten zu Gemeinschaft. Ich lobe den Tanz, der alles fordert und fördert, Gesundheit und klaren Geist und eine beschwingte Seele. O Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen“. Ob Augustinus – Theologe und Philosoph der Spätantike und bis heute einer der einflussreichsten Kirchenväter – sich auf eigene Erfahrungen mit dem Tanzen berufen konnte, ist nicht überliefert. Dennoch hat Augustinus etwas vom Wesen des Tanzes erfasst, das bis heute eine erstaunliche Gültigkeit zu besitzen scheint. Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls die Texte, die wir für unseren Themenschwerpunkt Tanz in dieser Ausgabe des Magazins sammelten. Von der Schwere der Dinge befreien: Michael Kleeberg literarischer Essay Vorspiel erzählt von der Einübung in die Leichtigkeit der erotischen Annäherung durch den Tanz; Dorion Weickmann beschreibt die Hybris, mit der wir den Tanz als Wunderdroge für körperliche und geistige Gesundheit feiern; Gabriele Brandstetter denkt über die gemeinschaftstiftende und Kulturen verbindende Kraft des Tanzes nach; Christina Deloglu fragt, warum Tanzfilme Kult sind und vor allem Teenager begeistern. Die Auswahl der Beiträge zum Themenschwerpunkt Tanz in diesem Heft war von der Idee geleitet, dass das Tanzen nicht nur die Spezialisten angeht. Tanzen ist im besten Sinn populärer und im gesellschaftlichen All- und Festtag verbreiteter als andere künstlerische Ausdrucksformen. Wissen wir mit dem zeitgenössischen Tanz als Kunstform so wenig anzufangen, weil die meisten von uns über ihn und seine Geschichte weniger wissen als über Literatur, Theater, Film und Bildende Kunst? Hat es der Tanz als Kunstsparte so schwer, wenn es um die öffentliche Anerkennung seiner kulturellen Bedeutung geht, weil wir für sein Verständnis nicht ausreichend alphabetisiert sind?
Wir wollen in diesem Heft ein Loblied auf den Tanz singen, wohl wissend, dass er im Reigen der Kunstsparten immer noch ein Schattendasein in der öffentlichen Wahrnehmung führt. Mit dem Tanzplan Deutschland hat die Kulturstiftung des Bundes zwar Voraussetzungen für bundesweit nachhaltige Strukturverbesserungen des zeitgenössischen Tanzes geschaffen. Doch wenn im Jahr 2010 die umfassenden Fördermaßnahmen des Tanzplans auslaufen, bleibt immer noch viel zu tun. Wir sind aber zuversichtlich, dass die Tanzszene durch die Unterstützung in den vergangenen fünf Jahren wertvolle Erfahrungen machen konnte, die sie künftig beim Fordern stärkt und den kulturpolitisch Verantwortlichen das Fördern erleichtert. Der Zweite große Tanzkongress im Rahmen des Tanzplans, der vom 5. bis 8. November 2009 in Hamburg stattfindet, ist eine Einladung an die Experten des Tanzes aus Praxis und Wissenschaft, auf die Fragen zur Zukunft des Tanzes in Deutschland Antworten zu entwickeln und Strategien zu seiner kulturpolitischen Verankerung zu entwerfen. Und er ist der Anlass dafür, diesmal ein Tanzheft zu machen, für das wir eine ungeheure Menge an Fotomaterial in den Tanzarchiven in Köln und Leipzig gesichtet haben. Wir danken für die große Unterstützung Thomas Thorausch und Bettina Hesse (Köln) und Dr. Janine Schulz (Leipzig). Daniela Haufe und Detlef Fiedler (cyan, Berlin) haben mit ihrer ihnen eigenen Mischung aus Leidenschaft und Genauigkeit die Bilder in diesem Heft zusammengestellt, die den Reichtum unseres Tanzerbes selbst im vergleichsweise kleinen Rahmen unseres Magazins augenfällig werden lassen.
Wie immer wollen wir Ihnen auch in dieser Ausgabe einen Überblick über unsere aktuell geförderten Projekte und einen Einblick in unsere Programmarbeit geben. Stefan Koldehoff war die Beschäftigung mit dem KUR-Programm zur Konservierung und Restaurierung von mobilem Kulturgut aufschlussreich für grundsätzliche Erwägungen über Maßnahmen zum materiellen Erhalt unseres kulturellen Erbes. Regina Bittner hat sich mit dem Vermächtnis der mährischen Stadt Zlín auseinandergesetzt, einer in Europa einmaligen Planstadt, in der der Schuhhersteller Bat’a seine Utopie der Moderne verwirklichte. Im Mai diesen Jahres fand dort im Rahmen von Zipp-deutsch-tschechische Kulturprojekte eine internationale Konferenz gleichnamigen Titels statt , bei der es auch darum ging, wie an dieses Erbe zu erinnern und anzuknüpfen sei. Michaela Schlagenwerth berichtet in ihrer Reportage über Heimspiel-Theaterprojekte von Wohl und Wehe bei der Recherche und Umsetzung von Stücken, in denen die Theaterleute gemeinsam mit Bewohnern der Stadt lokalspezifische Themen auf ungewöhnliche Weise in Szene setzen. Mit der Erzählung des polnischen Schriftstellers Wojciech Kuczok Warum wir den Kommunismus nicht abschafften beenden wir unsere literarische Reihe Väter & Söhne. Anlässlich des Gedenkjahres 2009 zum 20. Jahrestag der europäischen Einigung hatten wir jüngere Schriftsteller aus den mittelosteuropäischen EU-Ländern um persönliche Erinnerungen gebeten, wie die gesellschaftspolitischen Umwälzungen das Verhältnis der Söhne zum Vater beeinflussten.