Vom Vogelgeschrei zur Tonmalerei

Ein Gespräch des Musikwissenschaftlers Bernhard Schrammek mit dem Kammermusiker Jeremias Schwarzer und dem Konzertdesigner Folkert Uhde über harmonische Weltenklänge, musikalische Kleintierzoos und die wilde Kreativität der Natur.

Vom Barock bis in die zeitgenössische Musik haben sich Komponisten und Musiker immer wieder bemüht, Natur musikalisch zu beschreiben. Wie lebendig kann Musik die Klangwelten der Natur werden lassen?

Bernhard Schrammek (BS): Herr Schwarzer, Herr Uhde, die Vorstellung einer harmonischen Weltordnung ist schon sehr alt. Die Pythagoreer entwickelten das Modell der Sphärenharmonie, wonach die Ordnung der Himmelskörper als ein harmonischer Zusammenklang konstruiert wurde, der freilich für die Menschen unhörbar bleibt. Der spätantike Gelehrte Boethius hat das im frühen 6. Jahrhundert mit dem Begriff „Musica mundana“ umschrieben und dazu die „Musica humana“ als musikalische Harmonie in der Seele und im Körper des Menschen ins Spiel gebracht. Dies war wiederum für das gesamte Mittelalter und die frühe Neuzeit konstitutiv. Demnach befindet sich also die Natur – ohne Zutun des Menschen – in einer harmonisch-musikalischen Ordnung. Kann man mit diesem Musikbegriff heute überhaupt noch arbeiten?

Folkert Uhde (FU): Das ist sehr weit weg von unserer Vorstellungswelt, obwohl ich diesen Gedanken immer wieder sehr faszinierend finde, insbesondere wie sich Musica mundana und Musica humana zueinander verhalten. Ich glaube, der Gedanke einer Musica mundana ist deswegen so schwierig nachzuvollziehen, weil die Menschen heutzutage kaum noch bewusst hören. Wir hören zwar ständig über alle nur denkbare Medien, aber das ist ein sehr passiver Vorgang, denn wir schalten das aus, was das eigentliche Hören ausmacht. Den meisten Menschen ist gar nicht mehr bewusst, was sie für ein sensationelles Organ besitzen: ein akustisches Radar, das rund um die Uhr funktioniert. Das Ohr ist das menschliche Organ, das am meisten dazu beigetragen hat, dass der Mensch so weit gekommen ist, weil es am meisten vor Gefahren schützt. Dieses Selbstverständnis ist uns aber angesichts permanenter Beschallung über Ohrstöpsel abhandengekommen.

Jeremias Schwarzer (JS): Die Grundprinzipien der Wahrnehmung sind ja urmenschliche Eigenschaften, die integral mit Natur verbunden sind. Wir sind ganz klar Teil der Natur, agieren und reagieren innerhalb der Natur. Aber wir haben es vergessen. Das hat eine lange Geschichte: Bereits die christlichen Philosophen des Mittelalters haben damit begonnen, den Menschen als getrennt von der Natur zu betrachten und diese „objektiv“ zu bewerten. Mit der zunehmenden Sichtweise der Natur als „Mechanismus“ wurden letztlich Denkweisen eingeführt, die für eine Trennung zwischen Mensch und Natur gesorgt haben. In diesem Denkmuster der europäischen Geistesgeschichte, das von Newton bekräftigt wurde, stecken wir immer noch fest drin: Wir sind hier, dort ist die Natur. Und diese Separierung der Natur bringt letztlich die meisten der globalen Probleme mit sich. Was würde passieren, wenn wir die Natur nicht mehr als gigantisches Materiallager ansehen und uns stattdessen als Teil der Natur betrachten würden? Unser Projekt kann vielleicht ein klein wenig dazu beitragen, die Wahrnehmung zu schärfen und damit die Verbundenheit des Menschen zur Natur zu bekräftigen.


BS: Die Nachahmung von Natur mit den Mitteln der Musik ist in den verschiedensten Epochen und Kulturen zu finden. Immer wieder bemühten sich Komponisten mit den musikalischen Mitteln ihrer Zeit um mehr oder weniger originalgetreue Schilderungen von Naturgeräuschen und -phänomenen, wobei sich besonders Tierstimmen einer großen Beliebtheit erfreuten. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert hat sich diese auch als „imitatio naturae“ bezeichnete Praxis in der Musikgeschichte fest etabliert: Renaissance-Orgeln besitzen das Register „Vogelschrei“, Johann Caspar von Kerll setzt auf dem Cembalo ein charmantes „Kuckucks-Capriccio“ um, während Heinrich Ignaz Franz Biber in seiner „Sonata representativa“ gleich einen ganzen Kleintierzoo vorstellt. Aber auch in Barock und Klassik gibt es viel „Tonmalerei“, wenn man an Vivaldis „Tempesta di mare“ oder Beethovens „Pastoralsinfonie“ denkt. Ein ganz neues Kapitel wurde im 19. Jahrhundert mit den sinfonischen Dichtungen aufgeschlagen, aber auch in Wagner-Opern und Mahler-Sinfonien sind Gewitterschläge und Naturlaute zu hören. Und im 20. und 21. Jahrhundert reißen die Naturnachahmungen in den Kompositionen nicht ab, das prominenteste Beispiel ist sicherlich Olivier Messiaen, der in vielen seiner Werke Vogelstimmen reproduziert hat. Wenn man sich diese große historische Perspektive vor Augen hält, stellt sich doch die Frage, was für die Komponisten letztlich der große Reiz an Naturnachahmungen sein könnte?

FU: Im ersten Schritt ist das bei Komponisten aller Epochen sicher das Zurückgehen auf einen archaischen Ursprung aller Musik, der in der Imitation von Naturlauten bestand. Eine Theorie zur Entstehung der Musik besteht ja darin, dass der Mensch zunächst das nachgeahmt hat, was er gehört hat. Dieser „Grundreflex“ ist uns erhalten geblieben, freilich angereichert und beeinflusst durch ganz unterschiedliche musikalische Traditionen und Stile.

JS: Ganz sicher ist diese Abbildung von Naturlauten für Komponisten schon an sich reizvoll. Mit Naturnachahmungen kann man kompositorische Virtuosität und Brillanz beweisen. Ich glaube etwa, dass auch Vivaldi viel Vergnügen dabei hatte, die Natur mit der Kunst „einzufangen“. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass die „Abbildung von Natur“ eine sehr heikle Angelegenheit ist. Ich habe zum Beispiel mal versucht, die subtilen Veränderungen von Regentropfen kompositorisch zu „protokollieren“. Das ist sehr lehrreich, weil die Mischung aus Gleichmäßigkeit und Veränderung, die die Natur in einem unendlichen Strom bereitstellt, fast nicht in ein System zu bringen ist.


BS: Ist denn eine exakte Nachahmung der Natur in der Musik überhaupt möglich?

JS: Ich habe einmal einen Vortrag gehört, in dem die Vogelimitationen in einem Werk von Olivier Messiaen mit den entsprechenden echten Vogelstimmen verglichen wurden. Bei aller Genauigkeit, die Messiaen in seinen Transkriptionen angewendet hat, blieb es im Vergleich zu den echten Vögeln dann doch ein verzweifelter Versuch. Für das Flötenkonzert „Il Gardellino“ von Vivaldi habe ich mir auf YouTube einen echten italienischen Distelfinken angehört. So eine wilde Kreativität kann man gar nicht in geordnete Musik umsetzen, schon gar nicht in einem barocken Concerto. Aber darum geht es offenbar den Komponisten gar nicht. Entscheidend ist vielmehr der Gedanke einer kunstvollen Modulation des ursprünglichen Naturlauts.


BS: Das kann auch dazu führen, dass wir durch die Musik falsche Vorstellungen bekommen. Der Kuckucksruf etwa in vielen barocken Kompositionen entspricht ja nicht dem wahren Kuckucksruf in der Natur...

JS: Umgekehrt lernen die Vögel in bestimmten Gegenden aber auch die Geräusche der zivilisierten Welt. Ich habe gehört, dass bestimmte Stare in Amerika in ihren Gesang Handymelodien eingebaut haben.


BS: Kann man das Bestreben von Musikern nach Naturnachahmung auch als Versuch deuten, eine gewisse Ordnung in die an sich ja ungeordnete Natur zu bringen? Antonio Vivaldi beispielsweise hat seine Naturnachahmungen – ob nun den Gesang eines Distelfinks oder einen Meeressturm – in das von ihm entworfene und standardisierte System des dreisätzigen Concertos gebracht.

FU: Ich glaube, es handelt sich hierbei um eine wechselseitige Beziehung zwischen dem Musikstück und der Natur. Zum einen bringt der Komponist Inspirationen aus der Natur nach bestimmten Kriterien in seine Ordnung. Andererseits dient ihm aber auch die Kreativität der Natur dazu, ein wenig Chaos in seine selbstgewählte Ordnung zu bringen. Ordnung wird schließlich erst dann interessant, wenn mit ihr gespielt wird oder wenn sie auch mal aufgebrochen wird. Wenn nach wenigen Takten das Kompositionsprinzip bereits klar ist, braucht man die restliche Zeit auch nicht mehr zuzuhören.


BS: Aber in welchem Maße ein Komponist der Natur in seinem Werk Raum und Ordnung gibt, ist ja doch recht unterschiedlich.

JS: Das ist richtig, ich möchte sogar behaupten: So wie man generell zur Natur steht, so stellt man sie auch in der Musik dar. Da gibt es aus meiner Sicht zwei grundsätzlich verschiedene Herangehensweisen. Zum einen ist es der Grundsatz: „Macht Euch die Erde untertan!“, der in der entzauberten, industrialisierten Welt propagiert wird. Und auf der anderen Seite steht eine viel weniger aktive, eher lauschende Bezugnahme, wie sie in indigenen Kulturen zum Teil noch bewahrt wird: „Ihr seid die Wächter des Planeten, Ihr seid für die Erde verantwortlich, denn Ihr seid ein Teil davon!“ Beide Sichtweisen beeinflussen natürlich die Art, wie Natur in der Musik dargestellt wird.

An Kompositionen aus verschiedenen Epochen kann man gut ablesen, wie der Mensch – entweder der Komponist persönlich oder aber die ihn umgebende Geistesströmung – sich im Verhältnis zur Natur sehen möchte. In Joseph Haydns „Schöpfung“ zum Beispiel wird ein getreues Abbild der Natur im Sinne der Aufklärung gezeichnet, das den Menschen zur Krone der Schöpfung erhebt. Die Romantiker dagegen betonen in ihren Werken häufig die enge Zusammengehörigkeit mit der Natur. Dann gibt es aber auch solch heroische Konstruktionen wie die „Alpensinfonie“ von Richard Strauss, die ein mächtiges „Ich“ über die Natur stellt und deshalb auch leicht zur menschlichen Selbstüberhöhung instrumentalisierbar war.


BS: Wie sieht es mit Vivaldis Naturverbundenheit aus?

JS: Ich glaube, Vivaldi betrachtete sich in seinen Naturdarstellungen eher als Teilhaber der Natur. Schließlich hat er in Venedig praktisch „im Wasser“ gelebt und sich auch immer wieder längere Zeit auf dem Lande aufgehalten. Seine Musik empfinde ich in diesem Zusammenhang als sehr körperlich und sinnlich.

FU: Darüber hinaus hat Vivaldi mit seinen Nachahmungen von Tier- und Naturgeräuschen ganz offensichtlich etwas aufgegriffen, was für die Menschen damals aus existenziellen Gründen selbstverständlich war: Wenn man durch den Wald ging, ritt oder mit der Kutsche fuhr, musste man unterscheiden können, ob das Knacken im Unterholz von einem Bär, von einem Räuber oder von einem ungefährlichen, kleinen Tier stammt. Diese bewusste Naturwahrnehmung, die wir längst nicht mehr nachvollziehen können, findet sich in seiner Musik wieder.


BS: Das Konzertprojekt „sounds & clouds“, das Sie gemeinsam entwickelt haben, greift diesen Aspekt der bewussten Wahrnehmung von Natur auf. Es erklingen vier Konzerte von Antonio Vivaldi, die Naturbeschreibungen enthalten. Diese werden umrahmt von der 2010 entstandenen Komposition „Singing Garden“ des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa. Hinzu kommen elektronische Klänge der italienischen Künstlerin Letizia Renzini, die aus Vogelstimmen eine Sound-Installation erarbeitet hat. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Kombination?

FU: Vivaldi teilt die Naturgeräusche, wie schon erwähnt, in ein barockes Satzschema ein, wir konfrontieren sie mit einer Umgebung – der Musik von Hosokawa und den elektronischen Klängen von Letizia Renzini –, die dazu beiträgt, die Sinne wieder zu öffnen. Und wir arbeiten auch mit der Dimension des Raumes. Weder die Vogelgeräusche noch die Musik kommen einfach nur von vorn. Wir versuchen also den Sinn für die Unterschiedlichkeit der Geräusche zu schärfen.

JS: Für jedes der vier Vivaldi-Konzerte haben wir eine zentrale Grundstimmung entwickelt, die für die Interpretation maßgeblich ist. „La Notte“ beispielsweise ist keine Darstellung einer friedlichen Nacht, sondern die musikalische Schilderung einer körperlichen Erfahrung. Gleich zu Beginn sind der Rhythmus eines Herzschlags und ein stockender Atem zu hören. Es gibt da Pausen, die sind friedlich, entspannt, aber auch Pausen, in denen man sich nicht zu atmen traut. Also ein sehr „vegetatives“ Stück. Durch eine bestimmte Spielweise überträgt sich das auf das Publikum. „Tempesta di mare“ dagegen ist ein regelrechtes musikalisches Theaterstück, das vor allem von einem markanten Rhythmus und einer interessanten Wiederholungsstruktur der musikalischen Patterns lebt, die man mit der Zentralperspektive der barocken Bühnenmalerei vergleichen kann. Diese sehr klaren Charakterisierungen der Vivaldi-Concerti waren für Toshio Hosokawa bei der Komposition seiner Musik sehr wichtig. Er legt ja in seinen Stücken Spuren, die auf Vivaldi hinweisen. Einmal ist es ein kleiner Kanon, ein andermal ein bestimmter Rhythmus, bei „Tempesta di mare“ ein kleines Glöckchen, was in Japan auf eine Windzeremonie hinweist. Er erschafft damit einen Klangraum, der sehr offen klingt, aber dennoch unglaublich präzise komponiert ist. Das habe ich gespürt, als ich vor Kurzem die japanische Erstaufführung des „Singing Garden in Venice“ mit japanischen Musikern gestaltet habe, die noch mehr als europäische Musiker auf die genauesten Vortragsangaben des Komponisten geachtet haben.

FU: Als dritter Aspekt kommen die elektronischen Klänge von Letizia Renzini hinzu, die mit Sample-Technik arbeitet. Aus dem Soundmaterial toskanischer Vogelstimmen formt sie eine neue Struktur. – Letztlich hat Vivaldi nichts anderes gemacht: Er hat das „Sample“ eines Distelfinks genommen und ihn über einer durchgehenden Struktur modifiziert, die natürlich den Regeln des frühen 18. Jahrhunderts entspricht.


BS: Es versteht sich im Grunde von selbst, dass für ein solch spezielles Konzertprogramm eine adäquate Form gefunden werden muss. Denn mit der klassischen, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Bühnen-Publikums-Situation lässt sich der gewünschte Effekt ja wohl nicht erreichen...

JS: Wir als Musiker sind ohnehin mitten im Geschehen. Aber wir fragen uns, was man machen muss, damit das Publikum ebenfalls sofort mittendrin ist, so dass es keinen Unterschied mehr zwischen Musiker, Musik und Publikum gibt. Und das kann man mit erstaunlich einfachen Mitteln erreichen. Das Publikum wird seinen Platz in einer Garteninstallation aus Rollrasen, Pflanzen und anderen Gartenelementen inmitten der Musiker finden.


BS: Aber ist das nicht eine Illusion?

FU: Natürlich ist es eine Illusion, denn wir sitzen ja nicht in der Natur, sondern in einem Konzert. Aber es geht ja vor allen Dingen darum, die Sinne und die Wahrnehmung zu öffnen für die Tiefen in der Musik Vivaldis und Hosokawas. Die räumlichen Strukturen der Musik wollen wir dadurch erfahrbar machen, dass das Publikum sich mitten unter den Musikern befindet. Damit kann man den Zuhörern klarmachen, dass sie in der Lage sind, dreidimensional zu hören. Ich habe das bereits in etlichen anderen Projekten erprobt und die Erfahrung gemacht, dass die Menschen – sobald jemand von hinten oder von der Seite spielt – überrascht sind, besonders aufmerksam zuhören, aber auch außergewöhnlich stark berührt werden. Die unmittelbare Nähe zum Musiker, also zum Klangproduzenten, ist für „normale“ Konzertbesucher, die sonst abseits der Bühne in einer festen Stuhlreihe sitzen, eine enorme physische Erfahrung, die zu einer tieferen Wahrnehmung der Musik führt.

JS: Wir können immer wieder beobachten, dass der Hunger des Publikums nach einer Mitbeteiligung in Konzerten sehr stark ist. Allerdings muss man hier sehr behutsam vorgehen und darf nicht zu viel verlangen. Wenn man die Zuhörer genau an dem Punkt abholt, an dem sie von sich aus gerne weitergehen würden, bislang dazu aber keine Möglichkeit hatten, dann lässt sich so etwas wie eine Magie der Aufmerksamkeit, die alle gemeinsam teilen, erzeugen.

FU: Der Soziologe Hartmut Rosa hat das mit den Worten „Sehnsucht nach Resonanzerfahrung“ umschrieben. Mit unseren Konzertprojekten wollen wir genau das erfüllen. Ein gutes Beispiel dafür ist das „Mitatmen“: Wenn Musiker gemeinsam spielen, dann atmen sie – gleichgültig ob Streicher oder Bläser – an exponierten Stellen gemeinsam. Durch die unmittelbare Nähe zu den Musikern bin ich sicher, dass auch das Publikum mit der Musik und mit den Musikern atmet oder auch den Atem anhalten wird. Man muss schon sehr resistent sein, wenn man bei unmittelbarer physischer Nähe zu einem Musiker diesen Körpermechanismus nicht synchronisiert. Bei Frontalkonzerten dagegen hat man meist ein Publikum, dass die ästhetische Erfahrung genießt und sich entspannt. Ein tieferes Mitgehen mit dem, was auf der Bühne passiert, ist dabei eher selten. Ich wünsche mir, dass man nicht mit den Worten „War ganz schön...“ aus dem Konzert geht, sondern dass man eine Erfahrung gemacht hat, die man nur machen konnte, weil man genau dieses Konzert besucht hat.


BS: Kann ein solches Konzerterlebnis das Verhältnis zur Natur verändern?

FU: Warum nicht? Solch ein Konzert ermöglicht in einer Gemeinschaft eine positive Resonanzbewegung. Das kann eine unglaublich starke Erfahrung sein, die auch mein Leben „draußen“ beeinflussen kann.

JS: Ich gehe aus dem Konzert und merke auch dann noch, dass ich meine Wahrnehmung aktiv eingesetzt habe: Meine Aufmerksamkeit ist kostbar, und ich hatte aktiv teil am Geschehen. Die Welt, wie man sie kennt und wiederholt, wird man dadurch nicht verändern, aber man befindet sich vielleicht für eine kleine Weile in einer „anderen“, bewusst erlebten Welt, an der man anders teilnimmt. In jedem Fall hat man einen intensiven gefühls- und gedankenmäßigen Kontakt zu Musik und Natur erlebt.


BS: Sind wir damit der eingangs angesprochenen Harmonie von Welt und Mensch vielleicht doch ein Stückchen näher gekommen?

JS: Möglicherweise ist es so. Besonders die Musik von Toshio Hosokawa besitzt für mich eine solche Dimension, denn hier wird die Harmonie der Stille ja ausdrücklich betont. Die Präzision seiner Werke erinnert mich an einen Zen-Garten, wie er etwa in den „Gärten der Welt“ in Berlin-Marzahn zu besichtigen ist. Alles darin ist ganz genau geplant und angelegt. Das ist aber kein Selbstzweck, sondern dadurch ist es möglich, dass man kleinste Bewegungen und Veränderungen – wie etwa den Flug einer Hummel – mit großer Freude wahrnimmt. Die Hummel hätte man vielleicht nicht gesehen, wenn der gesamte Garten nicht so angelegt worden wäre, dass er eine geschärfte Wahrnehmung für die Schönheit und Lebendigkeit der Natur ermöglicht.

FU: Das ist ein sehr schönes Bild für unsere Arbeit: Wir bemühen uns, um die Musik eine passende und gut geplante Kontextualisierung zu schaffen, damit man wirklich den Kern der Musik wahrnimmt.

Jeremias Schwarzer

(*1969) studierte Blockflöte in Frankfurt und Zürich und hat sich seitdem als Solist mit einem außergewöhnlichen Repertoire von Alter bis Neuer Musik einen ausgezeichneten Ruf erworben. Seine weltweite solistische Konzerttätigkeit führt Jeremias Schwarzer regelmäßig zu internationalen Festivals und Konzertreihen in Europa, den USA, Japan und Israel.

Folkert Uhde

(*1965) studierte nach einer Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker Kommunikations- und Musikwissenschaft an der TU Berlin. Parallel studierte er Barockvioline an der Akademie für Alte Musik Bremen. Folkert Uhde war von 1997 bis 2008 Manager und Dramaturg der Akademie für Alte Musik Berlin. 2006 wurde er zum Mitbegründer des „New Space for the Arts“ im RADIALSYSTEM V, für das er bis heute Konzert- und Musiktheaterkonzepte entwickelt. 

Bernhard Schrammek

(*1972) studierte Musikwissenschaft und Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach mehrjährigem Forschungsaufenthalt in Rom im Jahr 2000 Promotion zum Dr. phil. Seit 2001 lebt Schrammek als freiberuflicher Musikwissenschaftler in Berlin und arbeitet als Lehrbeauftragter an den Universitäten Rostock, Leipzig und Dresden. Außerdem ist er als Herausgeber für den ortus musikverlag und als Konzertmoderator für Deutschlandradio Kultur, SWR2 und RBB tätig.

Sounds & Clouds

Das Projekt sounds & clouds unter der künstlerischen Leitung von Jeremias Schwarzer kombiniert vier Concerti Vivaldis mit einer Komposition des japanischen Künstlers Toshio Hosokawa. Eine Surround-Sound-Installation, die die italienische Künstlerin Letizia Renzini aus Vogelstimmen entwickelt, rahmt die Inszenierung, die vom Konzertdesigner Folkert Uhde als ein imaginierter Garten angelegt ist, in dem sich die Besucher frei bewegen können.

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