WIR BLEIBEN HIER !

Von Claudia Henne

Vielerorts können sich in Ostdeutschland - besonders in den ländlichen Gebieten - kulturelle Einrichtungen nur durch bürgerschaftliches Engagement am Leben erhalten. Um dies zu unterstützen und damit kulturelle Aktivitäten in den durch Abwanderung beeinträchtigten Gemeinden zu fördern oder zu erhalten, hat die Kulturstiftung des Bundes schon im Jahr ihrer Gründung den Fonds Neue Länder (externer Link, öffnet neues Fenster) im Rahmen ihres Programms Kulturelle Aspekte der deutschen Einigung eingerichtet. Seitdem wurden 61 Initiativen in diesem Fonds gefördert. Ziemlich unbemerkt von einer Öffentlichkeit, die sich an weithin sichtbaren kulturellen Leuchtfeuern orientiert. Aber Kleinode für die, die abseits der kulturtouristisch eingeebneten Pfade zwischen Weimar, Berlin und Dresden auf Entdeckungsreise gehen. Claudia Henne unternahm eine Reise zu drei kulturellen Basisstationen in der ostdeutschen Provinz.

Schlangestehen im Nirgendwo

Es ist unerhört still im Oderbruch. Kein zivilisatorisches Rauschen im weiten, leeren Land an der deutsch-polnischen Grenze. Ende März fließt die Oder von kleinen Wirbeln in Schwung gebracht eilig gen Ostsee. Alles ist graubraun. Bis auf die Schwäne, die auf den Äckern hocken. Raue Natur, kleine Dörfer, einzelne, hinter knorrigen vom Wind zerzausten Weiden versteckte Gehöfte, schnurgerade schmale Kanäle, schnurgerade Straßen, gesäumt von in den Himmel stoßenden schlanken Pappelreihen, dunkler schwerer Boden - das ist das Oderbruch. Darüber spannt sich ein endloser Himmel. Hier sieht man Regenböen grau übers Land peitschen, die Welt tiefschwarz untergehen oder die Sonne die Welt erleuchten, immer beste Cinemascope-Qualität. Hier, tief in der brandenburgischen Provinz, betreiben der Akkordeonist und Komponist Tobias Morgenstern und der Schauspieler Thomas Rühmann seit acht Jahren das Theater am Rand, ein entkerntes Wohnzimmer in einem alten Fachwerkhaus mit 70 Klappstühlen, vier Scheinwerfern und einem einfachen Vorhang. «Unser Theater kann es nur hier geben», davon sind beide fest überzeugt. Es gehört in diesen den Sümpfen abgetrotzten Landstrich, an diesen alten Fluss: Theater in der Natur, Natur als Theaterraum. Kennen gelernt haben sich beide im Berliner Maxim-Gorki-Theater, und beide träumten von etwas Eigenem. Öffentliche Förderung? Nein, daran haben sie damals nicht gedacht. Sie freuen sich über alle, von denen sie unterstützt werden, Nachbarn, anderen Künstlern, von Bekannten und Freunden.

Das Theater ist der Mittelpunkt eines großen Netzwerkes. Der Promifaktor -Thomas Rühmann spielt seit Jahren den Chefarzt der Sachsenklinik in der ARD-Serie In aller Freundschaft - hilft manchmal, stört aber Gott-sei-Dank nicht. Serienfans kommen, aber nach einer Minute wissen sie, das hier hat nichts mit dem Serienstar zu tun. Die Vorstellungen sind meistens ausgebucht. Einheimische (80%) kommen und Berliner/ Touristen (20%), Ältere, die man eher vor dem Fernseher wähnt als im Theater. Das Theater am Rand (externer Link, öffnet neues Fenster) entsorgt ganz nebenbei gängige Vorurteile. Zum Leidwesen der beiden kommen wenig junge Leute: «Das würden wir gerne angehen, aber auch das kann man nicht ändern, indem man ein Programm für junge Leute macht.» Es ist hier wie anderswo. Die Jungen ziehen weg. Es gibt keine oder sehr schlecht bezahlte Arbeit. Die Wege sind weit, und es gibt wenig Abwechslung. Das Theater am Rand ist das einzige weit und breit. Mit einem Programm, das ankommt. «Wir machen es nicht, damit die Leute hier unterhalten werden. Wir machen es auch nicht für die Leute. Wir machen es, weil wir auf herrliche Geschichten stoßen und die wollen wir auf die Bühne bringen. Und wenn dann die Leute kommen - das ist wunderbar. Es reizt uns, uns zu Wort zu melden.» Aus ihrem Mund klingt das nicht überheblich, sondern ehrlich. Und diese Ehrlichkeit spüren alle. Die Geschichten werden für die Bühne umgeschrieben und mit einfachsten Mitteln dargestellt: z.B. ein Erzähler, ein Akkordeon, eine Gitarre und ein Sofa. Daraus entsteht die Geschichte vom grünen Akkordeon nach Annie Proulx. Sie erzählen, singen, spielen zwei Stunden lang, ohne grelle Effekte, ohne Show. Eine Art intelligentes Volkstheater, schräg, witzig, nicht auf Teufel komm raus lustig und ohne Schenkelklopfen. Wenn am Ende des Abends der Eintritt beim Austritt erbeten wird, bezahlt jeder nach eigenem Gutdünken, fast jeder. Das ist keine originelle Geschäftsidee, sondern eine aus der Not geborene Erfindung. Denn als das Theater am Rand entstand, Rechte-Fragen noch nicht geklärt waren, wurde erst einmal vor Bekannten und Freunden gespielt und um Spenden gebeten. Aus dieser ‹Notlösung› ist ein Prinzip geworden. Jeder muss beim Rausgehen darüber nachdenken, was ihm dieser Abend wert war. Wie eine eingeschworene Gemeinde wirkt das Publikum. In seltener Übereinstimmung hocken fremde Menschen in Morgensterns Haus und erleben, was den beiden ein- und gefällt. Sie machen hier im Nirgendwo Kultur, und dafür stehen die Leute Schlange. Die, die Geld geben, helfen damit auch, die neue Bühne im Garten aufzubauen, eine rustikale, offene Holzbühne im Steinerschen Look.

Das Wohlwollen von Gemeinde und Land drückt sich in der Genehmigung des Bauantrages aus. Denn Bauen darf man hier nicht ohne weiteres. Über die Förderung der Bundeskulturstiftung von 9.950 Euro für die Inszenierung Old Ace, oder: Des Teufels Hutband nach Annie Proulx im vergangenen Jahr haben sie sich natürlich sehr gefreut. Gerne wieder. Trotzdem bleiben sie ihrer tiefen Überzeugung treu: Der Künstler muss frei sein. Sich mit polnischer Literatur zu beschäftigen, nur um Förderkritierien zu erfüllen, nein, so denken und arbeiten sie nicht. Nur dass bis heute kein polnischer Zuschauer da war, das bedauern sie. Mit ihren deutschen Nachbarn machen die Theaterleute auch gemeinsame Sache, wenn es z.B. um eine Autotrasse
geht, die zum Glück bis heute nicht gebaut wurde, oder um Pläne der EU, die Flusslandschaft zu renaturieren.

Für den Chef vom Ziegenhof nebenan ist das Theater eine Selbstverständlichkeit
und ein Glück. Man profitiert voneinander. Und wer weiß, wie es noch kommt. Die Rechten machen ihm Sorgen, die seiner Meinung nach von der Politik vollkommen unterschätzt werden. Da hilft das Miteinander. Die Geschichte des Theater am Rand ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, geschrieben von zwei eigensinnigen
Überzeugungstätern, die beweisen, dass Kultur kein Luxus ist, dass sie angenommen und gebraucht wird. Mit dem Theater am Rand hat sie einen Ort im Nirgendwo gefunden. Wo sonst steht man hier noch Schlange?

Gegen die Trostlosigkeit

Das Missverständnis beginnt schon am Bahnhof. Man schaut irgendwelchen zufällig stehen gebliebenen Häusern ins Gesicht, einer zerstückelten Stadtlandschaft. Unwillkürlich denkt man an späte Spuren der Zerstörung aus dem Zweiten Weltkrieg. Im Zentrum der einst wohlhabenden, stolzen Residenzstadt Gotha legt sich dann ein Elfgeschosser bräsig quer zum historischen Stadtgrundriss; Straßenzüge wurden abgerissen und mit halbherzig angepasster Plattenbauarchitektur neu bebaut. Über allem thront mächtig die größte frühbarocke Schlossanlage Deutschlands, Erinnerung an die glanzvollen Zeiten des Herzogtums Sachsen-Gotha. Kein Zweifel, der erste Eindruck ist ein Missverständnis. Die sozialistische Stadtplanung - «Weg mit der feudalistischen Vergangenheit!» - setzte der Verwahrlosung der alten Häuser Abriss und Aufbau, den Traum von der neuen Ration Wohnung entgegen. Die war in der DDR begehrt und der Rest unwichtig. Das rächt sich heute bitter. Der beliebte Touristenpfad
durch die deutsche Geschichte führt an Gotha vorbei. Es gibt einfach schönere alte Städte in der Nähe, z.B. Weimar und Erfurt. Da helfen weder das sanierte Schloss noch das Gothaer Tivoli, immer-hin die Geburtsstätte der deutschen Sozialdemokratie. Gotha hat neben den gewöhnlichen Problemen ostdeutscher Provinzstädte -
Abwanderung, Arbeitslosigkeit - mit der Trostlosigkeit einer zerstörten Stadtarchitektur zu kämpfen, man lebt wie im Vakuum. Die aus dem Westen importierten Rezepte greifen nicht. Der basisdemokratische Aufbruch nach der Wende ist längst verpufft bzw. abgewürgt worden. Ideen sind Mangelware und werden sowieso gerne von denen,
die Veränderungen fürchten oder lieber alte Feindschaften pflegen, im Keim erstickt. Davon können die Mitglieder des gemeinnützigen Vereins für soziokulturelle und internationale Zusammenarbeit KommPottPora (städtische Förderung 6.500 Euro pro Jahr) ein Lied singen: «Der natürliche Feind unserer soziokulturellen Initiative war
schon immer das Ordnungsamt.» Gelegentlich bricht Spott durch, wenn die Vereinsmitglieder erzählen. Lieber reden sie über Ideen und Projekte, über Auseinandersetzungen, die sie hinter sich und nicht immer gewonnen haben. Bürgerschaftliches Engagement? Ehrenamt? Nein, sie nennen das anders. Sie fordern Beteiligung am demokratischen Prozess ein. Mehr nicht. KommPottPora (KPP), hinter
dem Namen steckt keine geheime Botschaft, sondern ein «hochgradig komplexer brainstorming-Prozess», und benannt ist damit ein 1998 gegründetes Netzwerk von mittlerweile 22 verschiedenen regionalen Initiativen mit und ohne Vereinsstatus - «hochgradig basisdemokratisch organisiert». Freidenker, Gewerkschafter, Öko- und Friedensaktivisten... das Spektrum ist weit. Wer bringt den Spätaussiedlern deutsch bei und zwar so, dass sie es dann auch sprechen können? Bildung Vereint e.V. (Ulrike Rommel). Wer kümmert sich um Migrantenkinder und verbringt mit ihnen Sommerferien? L'amitie e.V. (Ernst-Martin Stüllein). Wer kümmert sich um die Kultur des Brettspiels und spielt gerne? Spielwürmer e.V. (Jan Frank). Wer kümmert sich um die Stadtgeschichte? Stadtgeschichte und Altstadterhaltung e.V. (Matthias Wenzel), und wer denkt sich immer neue Möglichkeiten, neue Konzepte aus? Der ‹Öko› Jörg Bischoff. Nicht zu vergessen die Schatzmeisterin Nadja Jereschinski, die im Förderdschungel zuhause ist wie wenige. Und all die anderen, die etwas bewegen wollen. Sie beackern die Arbeitsfelder Demokratie, (Sozio-)Kultur, Bildung, Selbsthilfe und Engagement. Nach zwei gescheiterten Anläufen ist KPP mittlerweile in Gotha-West zuhause, einem Plattenbaugebiet mit 10.000 Einwohnern, 22% der Einwohner von Gotha. Die Mischung von alteingesessenen Mietern, Wohnungseigentümern, Spätaussiedlern und in ‹Schlichtwohnungen› abgeschobenen Hartz-IV-Empfängern birgt sozialen Sprengstoff. Es gibt kein Kino, nur zwei Kneipen, einen Jugendklub und ein paar Geschäfte. Rückbau und Abriss stehen an. Bürgerbeteiligung? Gerne, aber nicht zu viel, wünschen sich die politisch Verantwortlichen. Der harte Kern von KPP will echte Bürgerbeteiligung. Schon 1999 haben sie mit der Warnung «Gotha stirbt» in ihrer Zeitschrift für kritisches Denken und selbst bestimmtes Handeln areal! viel Staub aufgewirbelt und ein Jahr später bei einer Umfrage in Gotha-West herausgefunden, dass 65% der Einwohner wegziehen würden, wenn sie nur könnten. Ernüchternde Zahlen. Die Baugesellschaften kümmern sich um die Häuser. Das reicht aber nicht und deshalb kämpft KPP für ein ‹Haus der Möglichkeiten› in einer leer stehenden Kaufhalle, für ein Nachbarschafts-, Kultur-Kunstzentrum, ein Haus, das allen offen steht. Dafür
ertragen sie destruktive Verwaltungsvorschriften, öffentlich-bedienstete Verhinderer. Die Anschubfinanzierung der Bundeskulturstiftung von 50.000 Euro, verteilt über zwei Jahre, hat sie ihrem Traum ein Stück näher gebracht.
Stadtteilzeitung, Bürgerbeteiligung, Kulturprojekte, sie wollen es wissen. «Das ist unser Leben, das ist unsere Stadt und wir gehen hier nicht weg!», sagt Jörg Bischoff und alle nicken zustimmend. Gefunden haben sich «einige Verrückte», wie sie selbst sagen, Männer und Frauen mit Berufsbiografien, die nach dem Systemwechsel zerbröselt
sind. Das Stadtteilzentrum Gotha West ist ihr Treffpunkt, ist Infozentrale, Jobbörse, Lebenshilfe und politischer Zirkel. Hier treffen sich Idealisten mit dem Sinn fürs Machbare, die über alle Debatten, alle Erfolge und Niederlagen, nicht vergessen haben: «Nur gemeinsam sind wir stark.» Auf dem Papier ist das ‹Haus der Möglichkeiten› fertig. Ob es je wirklich fertig wird, ist noch nicht raus. Viele Partikularinteressen
sind im Spiel. Aber irgendjemand muss doch was tun gegen diese Trostlosigkeit! Was tun, das ist das Lebenselixier von KommPottPora, Antrieb im Spiel um Macht und Möglichkeiten. Gotha-West bekäme eine Chance. Und der Trompeter Bernward Waldhelm könnte endlich sein Ska-Festival im ‹Haus der Möglichkeiten› veranstalten- aber das ist eine andere Geschichte aus der ostdeutschen Provinz.

Nicht nur Fachwerk

Auffallend viele Deutschlandfahnen flattern (vor der WM!) über den Kleingartenkolonien zwischen Magdeburg und Quedlinburg. Der Harz-Berlin-Express gleitet durch gelbe Rapsfelder, saftig grüne Äcker, über dunkel bewaldete Bergkuppen. Üppig blühende Obstbäume stehen Spalier. Weiße Büsche ballen sich in Senken. So urdeutsch und uralt wie diese Landschaft, so uralt und urdeutsch ist Quedlinburg. Kaiserpfalz, reiche Hansestadt, die mittelalterliche Perle überstand Industrialisierung und Zweiten Weltkrieg unversehrt, wurde zu DDR-Zeiten nicht ganz dem Verfall preisgegeben, danach jahrelang blank geputzt - und schrumpft. Quedlinburg, seit 1994
auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO, demonstriert Geschichte pur, ist eines der größten deutschen Flächendenkmale. Das ist die historische Substanz. Und die gelebte Gegenwart? Trotz aller Anstrengungen haben fast zehntausend Einwohner die Stadt seit 1990 verlassen. Jeder Vierte ist arbeitslos. Die Sanierung der heruntergekommenen Fachwerkjuwelen hat trotz regionaler, nationaler und internationaler Unterstützung einen Schuldenberg aufgetürmt, von dem niemand
so genau weiß, wie und wie lange er abgetragen werden kann. Der Schlossberg, ein Sandsteinfelsen, droht unter der romanischen Stiftskirche St. Servatius und den Stiftsgebäuden zusammenzustürzen. Geschätzte Sanierungskosten: 14 Millionen Euro. Tatbestände, die kein Hochglanzprospekt aus der Welt schafft. Der amtierende
Bürgermeister Eberhard Brecht, SPD, hat wenig Spielraum und wenig Anlass, auf bessere Zeiten zu hoffen. Er versucht der Saatzucht, für die Quedlinburg im letzten Jahrhundert berühmt war, wieder auf die Beine zu helfen. Eine Möglichkeit. Bleibt noch der Tourismus. Wunderschöne Kirchen, Häuser und Gassen, Hotels, Restaurants, Cafes, alles ist da. Der Service ist freundlich, die Portionen sind riesig und die Sonne soll überdurchschnittlich oft in Quedlinburg scheinen. Der Harz liegt für Wanderungen vor der Tür. Beste Voraussetzungen! 160.000 Touristen kamen im letzten Jahr. Aber das Publikum ist verwöhnt und unbeständig. Deshalb zieht Bürgermeister Brecht andere Faktoren ins Kalkül, nicht nur Fachwerk. Er unterstützt die zeitgenössische
Kunst- und Kulturszene, doch nicht mit Geld, das hat er nicht. Fast 400.000 Euro im Jahr kostet allein das Nordharzer Städtebundtheater (Halberstadt, Quedlinburg), ein Drei-Sparten-Haus. Diesen Posten verteidigt er hartnäckig gegen die kommunale Aufsicht. Wenn es seine Zeit erlaubt, geht Bürgermeister Brecht zu Vernissagen, und in Quedlinburg gibt es viele Ausstellungseröffnungen, sagt er. Das hört sich gut an. Aber die Kulturschaffenden vor Ort widersprechen. Der Kreistag lässt es an Unterstützung fehlen. Die Stadt werbe zu wenig mit der und für die Kultur. Auch der Arbeitskreis 7Kunst - Künstlervereinigung e.V. (externer Link) wünscht sich mehr Engagement.
2005 hat der zwei Jahre zuvor von kunstinteressierten Bürgerinnen und Bürgern, Künstlerinnen und Künstlern gegründete Verein das kleine Glasmuseum im Word 28 übernommen, ein gescheitertes Projekt. Der Wordspeicher, ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, war aufwändig als begehbares Denkmal saniert worden und blieb eine schöne Idee. Obwohl das historische Kleinod nur wenige Minuten vom Markt, vom Touristensammelplatz, entfernt liegt. Der Träger suchte Nachfolger und fand den Verein 7Kunst - Künstlervereinigung, der bereit war, das verwaiste Museum samt Nebengebäude zu mieten. «Eine große Verantwortung» empfinden die Mitglieder seitdem, und sie fragen sich manchmal, ob sie sich damit nicht übernommen haben.
Aber nur manchmal, denn diese Entscheidung hat den Arbeitskreis auch vorangebracht. Aus den 12 Gründungsmitgliedern sind 36 geworden. Über die Arbeit lernt man sich halt kennen. Das Ziel, an wechselnden Orten in der Stadt Kunst, Musik, Literatur für Jung und Alt anzubieten, lässt sich auf mehrere Schultern verteilt besser verwirklichen. Andersen, Schiller, Freud - der Arbeitskreis sorgte dafür, dass ihrer auch in Quedlinburg gedacht wurde. 7Kunst ist in Quedlinburg bekannt und will mit der Zuwendung der Bundeskulturstiftung von 9.000 Euro Öffentlichkeitsarbeit über die Stadtgrenzen hinaus organisieren. Die Förderung kam unerwartet und ist mehr als willkommen. Denn Geld lässt sich mit Kulturveranstaltungen nicht verdienen.
Von der Stadt ist nichts zu erwarten, obwohl der Verein für mehr Leben im Städtchen sorgt, für Geselligkeit.
«Nicht warten, bis andere etwas tun», das treibt die Designerin Undine Kurth und die anderen an. Sie verstehen ihr Engagement als bürgerschaftliches Engagement, als Einmischung, nicht als Sparbeitrag für die Kommune, nicht als Ehrenamt. Sie sind überzeugte Quedlinburger und sie wollen hier bleiben! «Der Vorteil von Quedlinburg ist, eine Stadt der kurzen Wege zu sein. Man kennt sich, man schätzt sich, und man kann zusammen etwas auf die Beine stellen», sagt Buchhändler Jens Jürgens, Sohn einer alteingesessenen Buchhändlerfamilie. Keiner aus dem Arbeitskreis will die Stadt der Politik, den Parteien allein überlassen. Die ‹DiMiDo-Jobber›, die Verwaltungselite aus dem Westen, arbeitet, aber wohnt nicht in Quedlinburg. Das kommt schlecht an und sorgt nachhaltig für Misstrauen. Denn gerade die könnte als Vorbild taugen und Verantwortung für die Stadt demonstrieren! Aber es gibt Ausnahmen und die schätzen 7Kunst. Museum, Kneipe, Galerie bringen die buntgewürfelte Gruppe, eine gute Ost-West-Jung-Alt-Mischung, zuweilen an ihre Grenzen. «Die eigene Arbeit leidet schon», räumen die Künstler Sylke Symolka und Bernd Steinert ein. Das Familienleben manchmal auch. Kaum ist das gesagt, reden alle schon wieder über die nächsten Projekte. Schließlich geht es um den Verein, um seine Zukunft in Quedlinburg, die auch ihre ist. Sie begnügen sich nicht mit dem Bild von einem beschaulichen alten Städtchen, Ihr Quedlinburg braucht eine lebendige Kultur und zeitgenössische Kunst.

Dieser Artikel erschien im Magazin Nr. 8 der Kulturstiftung des Bundes.

Über die Autorin

Claudia Henne ist Redakteurin beim Rundfunk Berlin-Brandenburg. Sie lebt in Berlin.

Fonds Neue Länder

Im Juli 2002 wurde der Fonds zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements für die Kultur in den neuen Bundesländern eingerichtet. Ziel dieses Fonds ist die strukturelle Weiterentwicklung und Professionalisierung der Kulturarbeit in Ostdeutschland. Voraussetzung für die Förderung ist ein deutliches Engagement von Bürgerinnen und Bürgern für die Kultur. Der Fonds möchte damit zur Verbundenheit der Menschen mit ihrer Region - besonders in strukturschwachen Gebieten - beitragen.

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